Heldenorgel in Kufstein

Die Idee zur Errichtung der Heldenorgel in Kufstein entsprang der patriotischen Intention, für die „Helden des deutschen Volkes“ ein „tönendes Ehrenmahl“ zu stiften (Franz Tafatscher, Die Heldenorgel. Schilderung ihres Werdens und ihrer Bedeutung, Kufstein: Selbstverlag der Heldenorgel-Stiftung 1932, Seite 3). Ideengeber war Ing. Max Depolo (1888-1971), Leutnant in einem Kaiserjägerregiment und Textautor des bekannten Kaiserjägerliedes „Wir Jäger lassen schallen“ (Melodie: Karl Mühlberger). An alle „im Weltkriege Gefallenen deutschen Stammes“ sollten die weit, über die Landesgrenze hinweg vernehmbaren Klänge eines mächtigen Orgelwerks im Kaiserturm der Feste Geroldseck gemahnen. Diese im Kreise von Freunden im Jahr 1924 geäußerte Absicht Depolos fand begeistere Zustimmung. Am 8. Oktober 1924 wurde die Unternehmung im Tiroler Grenzboten publik gemacht und die Motivation zur Unterstützung des Vorhabens mit Argumenten des national geschwängerten Mentalitätsklimas der damaligen Zeit angeregt:

„Die Orgel, die als ein Kulturdenkmal des deutschen Volkes an der Südgrenze seines Reiches errichtet werden soll, möge als ernster Mahner immer und immer wieder zur Einigkeit rufen, sie möge deutsche Kunst und Art aller Welt verkünden und jenes geschlossene Volksempfinden, gepaart mit felsenfestem Selbstvertrauen, in unseren Reihen wiedererwecken , auf das von jeher Deutschlands Größe, Macht und Stärke sich gründete.“ (Zitat nach Tafatscher, Seite 8).

Diese betont nationalistische Begründung fand ihrer Absicht gemäß entsprechenden Widerhall und setzte eine Spendenaktion in Gang, die durch weiterwirkende Werbeaktivitäten seitens des inzwischen initiierten Vereines zur Erbauung und Verwaltung des Heldenmales des deutschen Volkes auf Geroldseck bestärkt wurde. Schließlich fanden sich in einem Heldenbuch die Namen von 1556 Spendern, überwiegend mit deutschnationalem Konnex, darunter 96 Ortsgruppen des Deutschen Turnerbundes, 51 Sektionen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereine, 75 Gesangvereine sowie 45 Kriegerverbände. Am 1. Dezember 1930 konnte der Verein der Firma Eberhard Friedrich Walcker in Ludwigsburg den Auftrag zur Erstellung der Heldenorgel erteilen.

Informationen zu den technischen Besonderheiten der Heldenorgel und organisatorische Details ihrer Errichtung vermittelt Franz Tafatscher in seiner informativ recherchierten kleinen Monographie Die Heldenorgel […] 1932:

Aus: Tafatscher, Die Heldenorgel […], 1932



Die Orgelweihe am Sonntag, dem 3. Mai 1931, wurde ein gesellschaftlich patriotisches Großereignis. Der Landeshauptmann von Tirol Dr. Franz Stumpf hatte den Ehrenschutz übernommen. In seiner Festrede betonte er die nationale Bestimmung der Heldenorgel als klingendes Denkmal einer „glorreichen Vergangenheit“, für die die für das „Vaterland Gefallenen“ Zeugnis seien. Auch „Zuversicht auf eine bessere Zukunft“ sollten die Klänge des mächtigen Orgelwerkes suggerieren, womit offenkundig der virulente Traum der Vereinigung aller „deutschen Stämme“ gemeint war, „von der Maas bis an die Memel, von der Eltsch bis an den Belt“. Die Stadt Kufstein, deren politische Führung nach anfänglichem Zögern sich schließlich beherzt für die Errichtung der Heldenorgel engagiert hatte, war für den außergewöhnlichen Anlass festlich geschmückt: „Bunte Wimpel, wehende Fahnen in den Tiroler und bayrischen, in den österreichischen und deutschen Reichsfarben, Kranzschmuck an allen Häusern, Triumphbogen aus Tannengewinden, geschmückt mit silbernen Orgelpfeifen – sie waren das äußere Zeichen für den Sinn Festes, das auch im ganzen Lande starken Widerhall fand“ (Tafatscher, Seite 22).

Ein Festabend im Saal des Großgasthofes Egger ging der Orgelweihe voraus. Der Chronist der Ereignisse, Franz Tafatscher, berichtet davon und ebenso ausführlich von der Orgelweihe, bei der höchste Repräsentanten von Politik und Geistlichkeit, darunter der österreichische Bundespräsident Wilhelm Miklas, sich die Ehre gaben. Alle Redner betonten die nationale Symbolik des Festes und der Heldenorgel. Die Orgelweihe vollzog kein geringerer als der Salzburger Erzbischof Ignaz Rieder. In seiner Predigt bestärkte auch er die nationale Gesinnung in der Verbrüderung aller Deutschen. Nun erklang die Heldenorgel zum ersten Mal offiziell mit dem Hymnus „Großer Gott wir loben dich“, gespielt vom Wiener Organisten Prof. Franz Schütz. Der Kufsteiner Bürgermeister ließ seine Rede zum Ausklang in ein patriotisches Manifest münden, das die Bestimmung der Heldenorgel im Sinn der Reichseinheit ideologisch fixieren sollte:

„Alle Register der Heldenorgel auf der Festung Geroldseck-Kufstein werden wir ziehen. Alle Töne erklingen lassen und weit in die Welt hinausrufen: Deutsches Volk, ehre deine Helden! Deutsches Volk, halte aus und sei einig! Deutsches Volk habe Mut, sei stark und werde frei!“ (Tafatscher, Die Heldenorgel […], 1932, Seite 29).

Aus: Tafatscher, Die Heldenorgel […], 1932



Diesem Aufruf kamen auch viele der Organisten nach, die den Festsommer 1931 prägten und ihr Programm mit einem patriotischen Akzent ausklingen ließen Am 6. Juni beendet der Innsbrucker Chordirektor Karl Koch seine Darbietung mit einer „Freien Improvisation über ein deutsches Volkslied.“ Sein Kufsteiner Kollege Franz B. Kirchmair beschloss seinen Auftritt am 28. Juni mit „Improvisationen über vaterländische Weisen mit Glockenspiel.“ Musikdirektor Eduard Kissel aus München ließ seine Vortragsfolge am 11. Juli mit einer „Heroischen Fantasie“ in einen pathetisch ergreifenden Schluss münden. „Freie Improvisationen über ein bekanntes Thema“ brachte der Salzburger Domkapellmeister Josef Messner am 18. Juli zum Vortrag, während der Organist der Wiener Votivkirche, Prof. W. Pach, sein Konzert am 15. August mit „Improvisationen über ein vaterländisches Lied“ nationalbetont verklingen ließ. Ebenso setzte sein Wiener Kollege Karl Walter, Domorganist zu St. Stephan, bei seinem Konzert am 29. August mit einer „Freien Improvisation über vaterländische Lieder“ einen emotional erhebenden Schlussakzent (Tafatscher, Seite 42 ff.).

Auch dem österreichischen Bundespräsidenten Wilhelm Miklas war es ein Anliegen, in seiner Festrede, die wie nahezu alle übrigen offiziellen Wortmeldungen via Rundfunk verbreitet wurde, die „Einheit des deutschen Volkes“ zu beschwören.

Im Anschluss an die Weihezeremonie improvisierte der aus Schwaz gebürtige Salzburger Domkapellmeister Joseph Messner (1893 Schwaz - 1969 St. Jakob am Thurn) über das Andreas-Hofer-Lied, die Tiroler Nationalhymne. Er bestärkte damit die patriotische Aura, die im darauf folgenden Festzug ihren bildhaften Ausdruck fand. „Fast alle deutschen Gaue waren vertreten“, schreibt Franz Tafatscher in seiner Schilderung, die er folgerichtig betitelt: „Der Festzug als Treugelöbnis“ (Seite 38 f.). 400 Vereine mit 40 Musikkapellen, über 30 Studentenverbindungen der Universitäten Innsbruck und München prägten neben zahlreichen Abordnungen militärischer Traditionsverbände den einstündigen Vorbeimarsch, den die politische Prominenz und weitere Ehrengäste abnahmen. „So war dieser Aufmarsch der sinnfällige Ausdruck der brüderlichen Eintracht, die dieses Fest beseelte und zu einem gemeinsamen Treffen des ganzen deutschen Volkes machte“ (S. 39).

Rückschauend auf die Ereignisse bringt ein Bericht im Tiroler Volksblatt vom 5. Mai 1939, Seite 3, eine kritische Betrachtung, worin die eigentliche deutschnationale Bestimmung der Heldenorgel durch den damals dominierenden Einfluss des christlich klerikalen Lagers eingeschränkt gesehen wird. Erst mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 sei die Heldenorgel ihrer Intention auch als klingendes Symbol der deutschen Einheit gerecht geworden. Sie war nun nicht mehr allein ein Denkmal des Heldengedenkens und der Heldenverehrung, sondern mit der Vermittlung semantisch eindeutig ideologisch fixierter Musik ein massenpsychologisch wirksamer Animator im Sinn der Parteipropaganda.



Diese suggestive Wirkung wird zum Beispiel im Tiroler Grenzboten am 12. März 1939, Seite 6, deutlich:

„Als Reichsminister Dr. Goebbels die Verlesung der Proklamation des Führers beendet hatte, stimmte die berühmte Heldenorgel von Kufstein das Deutschlandlied an, das von den Tausenden mitgesungen wurde. Unter dem erneuten Jubel der Bevölkerung spielte dann die Orgel zum erstenmal in der Geschichte Kufsteins das Horst-Wessel-Lied, in das Tausende ebenfalls begeistert einstimmten.“

In dieser Frühphase der „Wiedervereinigung“ bestärkten auch viele Organisten mit ihrem die Ideologie glorifizierendem Konzertprogramm die nationale Euphorie.

Über ein solches „vom völkischen Geiste getragenes Orgelkonzert“ des Organisten Eduard Kissel aus München informiert der Tiroler Grenzbote vom 15. April 1938, Seite 4:

Deutsches und volkstümliches Orgelkonzert auf der Kufsteiner Heldenorgel.
Am Ostersonntag, den 17. April, 12 Uhr mittags, spielt Musikdirektor Eduard Kissel-München:
1. Festmusik: „Ein Volk – Ein Reich – Ein Führer“ (Niederländ[isches] Dankgebet – Der Gott, der Eisen wachsen ließ – Hitlerjugend-Lied: Uns’re Fahne flattert uns voran) mit überleitender Musik von Ed[uard] Kissel.
2. Gebet aus der Oper „Rienzi“ von R[ichard] Wagner.
3. Aus dem 1. Satz der 4. Symphonie von Ant[on] Bruckner.
4. Heroische Fantasie unter Mitverwendung von deutschen Heldenliedern, abschließend mit dem Deutschlandlied und dem Horst-Wessel-Lied (freie Bearbeitung von Eduard Kissel).
Auf dieses vom völkischen Geiste getragene Orgelkonzert sei wiederholt aufmerksam gemacht.

Als Organist der Großen Orgel des Reichsparteitages in Nürnberg hatte sich Eduard Kissel für diese aufputschende Unternehmung bestens empfohlen. Im TirolerGrenzboten vom 20. April 1938 erschien auf Seite 3 eine Besprechung seines propagandaeffizienten Auftritts.



Auch der Tiroler Organist Alois Forer (1909 Telfs - 2001 Henndorf am Wallersee) zollte bei einem Konzert am 3. Juli 1938 seinen Tribut an die Ideologie. In das Zentrum seiner Darbietung stellte der Künstler damals eine „Freie Improvisation über Lieder der Bewegung“ (Tiroler Grenzbote vom 6. Juli 1938, Seite 2).

Bei zwei Konzerten am 16. und 17. Juli 1938 erwies der Berliner Organist Gerhard Schwarz (1902 Reußendorf/Schlesien - 1995 Kommunität Imshausen/Bebra, Hessen) seine Reverenz an die Ideologie: Er improvisierte über „Lieder der Bewegung“ und verlieh damit seiner Darbietung einen propagandistisch verwertbaren Akzent.

Ebenfalls als Huldigung an die Ideologie ist es zu deuten, wenn der aus Kufstein gebürtige Komponist Emil Berlanda (1905-1960) sein Konzert auf der Heldenorgel am 21. August 1938 mit einer freien Improvisation über das Deutschlandlied suggestiv ausklingen lässt (Emil Berlanda, [Autobiographie], Typoskript um 1950, Seite 229, Exemplar im Institut für Tiroler Musikforschung Innsbruck).

Zu Hitlers Geburtstag brachte die Heldenorgel wiederholt ihre ideologiegesättigte Symbolik ein. Zum 50. Geburtstag des „Führers“ (20. April 1939) erfolgte dies in besonders eindringlicher Inszenierung, indem die Heldenorgel gewissermaßen selbst als Gratulant instrumentalisiert wurde.

Tiroler Volksblatt vom 24. April 1939, Seite 2



1941 wurde die Heldenorgel wiederum in das Festprogramm zu Adolf Hitlers Geburtstag eingebunden. Im Rahmen der „Ringsendung“ wurde um Mitternacht als Ausklang des Festprogramms des Großdeutschen Rundfunks eine zu diesem Anlass geschaffene Komposition von Gottfried Rüdiger (1886-1946), Professor an der Akademie der Tonkunst in München, geboten. Emil Berlanda war der Interpret.

Emil Berlanda teilt in seiner Autobiographie mit (Seite 258), dass er für den Kustos der Heldenorgel, den Kufsteiner Musiklehrer Max Greiderer (1900-nach 1967), einspringen musste, weil dieser den technischen Anforderungen der Komposition Rüdigers nicht entsprechen konnte. Greiderer war in seiner Funktion dem Kufsteiner Chordirektor Franz B. Kirchmair gefolgt.

In: Franz Tafatscher, Die Heldenorgel […], 1932, Seite 63



Kufsteins Heldenorgel war eine Attraktion, die nicht nur zahlreiche Organisten zu Konzerten und Kompositionen animierte, sondern auch viele Gäste anzog. Dies ist einem Bericht in der Neuesten Zeitung vom 17. September 1938 zu entnehmen, Seite 4:



Die emotionale Doppelfunktion der Heldenorgel ist in einem Artikel im Tiroler Grenzboten vom 15. Juli 1938 auf Seite 4 unter der Überschrift „Der Ruf der Orgel“ treffend beschrieben:

„[…] Nicht die gewiß begrüßenswerten Konzerte bester Organisten aus dem ganzen Reich allein sind es, die die Fremden zur Orgel führten, sondern es ist jener erhabene Gedanke, der dem ganzen Werke zugrunde liegt: ein Mahnmal zu sein an jene furchtbaren Zeiten des Weltkrieges, da ihnen ein grausames Schicksal ihre Lieben auf immer entriß. In diesem Gedenken der Gefallenen lösen die ernsten, weihevollen Klänge der Orgel in vielen Zuhörern Andacht aus. Die herrlichen Lieder der Bewegung greifen ans Herz und getröstet verlassen die Besucher die Weihestätte […].“