Verpflichtungsfeier im Montafon
Festtag der Jugend
Verpflichtung der Jugend in unseren Bergen
Von Kreisleiter, Bereichsleiter Wernfried Richter, Bludenz
In: Tirol-Vorarlberg. Natur Kunst Volk Leben, herausgegeben von "Gauleiter und Reichstatthalter" Franz Hofer, 16. Jahrgang, 1944, Heft 2, Seite 29-35
"Dia gschieda Lüt, dia da Kalender erfonda hon, send gwiß nia im Muntafu gsi", meint der alte Montafoner Bauer und reißt das Kalenderblatt vom 21. März ab, auf dem mit lustigen Buchstaben die Worte stehen: "Frühlingsanfang". Seine Blicke gleiten durch die niederen Sprossenfenster hinaus auf die Straße, wo sich der Schnee zu Bergen türmt. Zwei Meter Schneehöhe und das ausgerechnet zum Frühlingsanfang, das will unserem Bauer nicht recht in den Kopf gehen.
Da tönt von der Straße her ein frohes Lied. Gleich darauf poltern schnelle Schritte von derben Nagelschuhen die hölzerne Stiege herauf. Durch die Tür schieben sich einige Mädel, frische, sonnengebräunte Gesichter. Froh und begeistert erzählen die Vierzehnjährigen dem Großvater, daß sie vom Vorbereitungsdienst zur Verpflichtungsfeier kommen, die in diesem Jahr besonders schön sein wird. Sie freuen sich schon auf die Stunde, in der sie unter der Fahne stehen und dem Führer geloben werden, allezeit ihre Pflicht zu tun. Nur noch wenige Tage trennen sie von dieser Feier, die am Beginn eines neuen Lebensabschnittes steht. Und der alte Bauer nickt bedächtig und ist erfaßt vom Hauch einer neuen Zeit, unter deren Gesetz seine Kinder und Kindeskinder stehen.
In den Bergschulen aller Täler herrscht vor der Verpflichtungsfeier geheimnisvolle Emsigkeit. Die vierzehnjährigen Buben und Mädel, ihre Schulkameraden, die zur Verpflichtung kommen, dürfen nichts davon erfahren, daß seit Tagen im Zeichenunterricht Glückwunschkarten zur Verpflichtungsfeier entworfen und mit der sprudelnden Phantasie der Jugend gemalt und geschrieben werden. Die gedruckten Glückwunschkarten, die man im Laden kauft, sind lange nicht so schön wie die selbst angefertigten. Wenn aber schon die Kleinsten für den Tag der Verpflichtung rüsten, dann wollen sich auch die bereits "Ausgeschulten" nicht ausschließen. Früher konnte man die Urkunde zur Verpflichtungsfeier einrahmen lassen. Heute, im fünften Kriegsjahr, ist das Glas für andere Zwecke nötig und Fensterrahmen in luftgeschädigten Orten sind wichtiger als Bilderrahmen für die Verpflichtungsurkunden.
"Grad schö ist so a Urkunda ohni Rahma net", meint der HJ.-Führer, und die Jungen grübeln, wie man sich helfen könnte. Der Vater des einen Jungen hat ein Sägewerk, dort gibt es Holzabfälle. Der andere ist Schreinerlehrling und sein Meister gestattet ihm, in den Abendstunden die Maschinen zu benutzen. Und so sieht man die Buben nach Feierabend in der Werkstatt stehen, um aus Holzabfällen schöne Rahmen für die Verpflichtungsurkunden anzufertigen.
Der Vorabend des Verpflichtungstages ist herangekommen. Freudig überrascht haben unsere Vierzehnjährigen die zahlreichen Glückwunschschreiben, die vom Ortsgruppenleiter und seinen Mitarbeitern, von den Verwandten und von den jüngeren Kameraden und Kameradinnen eingegangen sind, gelesen. Da klingt unerwartet ein frohes Lied vor dem Haus auf. Da muß man doch gleich nachschauen, wem diese Ehrung gilt. Der Vierzehnjährige traut seinen Augen kaum; das sind doch seine Kameraden vom Jungvolk, die da vor der Haustür stehen. Eine Ziehorgel haben sie mitgebracht und als das Lied verklingt, kommt der Jungvolkführer die Treppe herauf und sagt: "Wir möchten die ersten sein, die dir zu deinem morgigen Ehrentage, deiner Verpflichtung auf den Führer, alles Gute wünschen, wir, deine Kameraden!"
Vor lauter Freude über die unerwartete Ehrung haben unsere Vierzehnjährigen noch gar nicht entdeckt, daß an ihrer Haustür eine mit Tannengrün umrahmte Tafel angebracht wurde, auf der, für jedermann sichtbar, die Worte stehen: Hier gelangt ein Junge (ein Mädel) zur Verpflichtung auf den Führer!
So zieht die muntere Singschar zu den Häusern aller zur Verpflichtung Gelangenden und überbringt mit den Liedern der Heimat die Wünsche zum morgigen Ehrentag. Erst als sich der Abend über die Berge senkt, kehrt die junge Schar heim.
Es ist Sonntag, der 26. März 1944.
Ein strahlender Wintertag liegt über unseren Bergen. Die erste Morgensonne taucht die Berggipfel in leuchtendes Gold. Hell glänzen die schneebeladenen Hänge am Arlberg, majestätisch reckt die Zimba ihren kühnen Gipfel in den jungen Morgen, silbern leuchten die Gletscher der Silvretta und Schesaplana. Die Bergdörfer liegen noch im tiefen Schatten. Aus den Kaminen der Häuser steigt dünner Rauch auf. Unsere Jungen und Mädel, die heute zur Verpflichtung kommen, sind nicht wie sonst durch den schonungslosen, schrillen Ton des Weckers aus dem Schlaf geholt worden. Mit Trommeln und Fanfaren sind die Pimpfe, mit frischen Liedern die Jungmädel ausgezogen und haben das Dorf auf die Beine gebracht. Verschlafen schauen ein paar Gesichter durch die Scheiben auf die Straße, um zu sehen, was los ist richtig, heut[e] ist ja Verpflichtungstag! "Fort mit allen, die noch klagen, die mit uns den Weg nicht wagen, fort mit jedem schwachen Knecht!", tönt es an den Häusern empor, "nur wer stürmt, hat Lebensrecht!" Früher als sonst ist man in den Familien, in denen ein Kind zur Verpflichtung kommt, aufgestanden. Die Mutter hat den Frühstückstisch gedeckt, die gute Tischdecke ist aufgelegt worden und in der Mitte des Tisches steht heute ausnahmsweise nicht die große Pfanne mit dem Riebel, sondern ein mords Gugelhupf. Die Geschwister des zur Verpflichtung Kommenden helfen der Mutter und legen aus zierlichen Tannenzweigen einen Kranz um den Teller des Vierzehnjährigen.
Bald hat sich die ganze Familie am Kaffeetisch versammelt. Neben der Tasse mit dem Tannenkranz liegt ein Geschenk der Eltern. Ein gutes Buch, ein Familienschmuckstück für die Mädel, ein HJ.-Fahrtenmesser mit Gravierung für den Buben und wenn es die Kleiderkarte erlaubt ein neues Uniformstück. Kaum sind die Kaffeetassen weggeräumt, da dringt helles Schellengeläut von draußen herein. Ein mit Tannengrün und bunten Bändern festlich geschmückter Pferdeschlitten ist vorgefahren, um die Familie zur Verpflichtungsfeier abzuholen. Am Dorfausgang sammelt sich die Schlittenkolonne und in langem Zuge geht es unter Führung des Ortsgruppenleiters zum Feiersaal im Nachbarort. Die Freude, mit dem Pferdeschlitten fahren zu dürfen, bleibt allerdings nur den zur Verpflichtung Gelangenden und ihren Eltern vorbehalten, denn der Krieg zeigt sich auch im Pferdestall. Die meisten Rosse sind ebenfalls "eingerückt" und stehen irgendwo im Einsatz. Deshalb überholt die Schlittenkolonne viele Volksgenossen und Verwandte der zur Verpflichtung Gelangenden, die zu Fuß in den Nachbarort gehen. Sie wollen selbstverständlich dabei sein, wenn in feierlicher Stunde unsere Jungen und Mädel unter den leisen Klängen der Lieder der Nation durch Gelöbnis und Handschlag dem Hoheitsträger versprechen, ihre junge Kraft ganz in den Dienst des Führers zu stellen, für Deutschland und den Sieg.
Es ist ein farbenfrohes Bild, das sich dem Auge im Feiersaale bietet. Auf der Bühne die Singgruppen in ihrer farbenfrohen Tracht, dahinter das helle Rot der Fahnen, im Saal das Braun und Weiß der Uniformen unserer Jungen und Mädel und hinter ihnen die bunte Farbenpracht der Festtagstrachten unserer Bergtäler. Man sieht, die Tracht ist hier kein Prunkstück der Vergangenheit, sondern lebendige, in die Zukunft weisende Gegenwart. Kein Wunder, daß am Saaleingang einige Touristen den Ortsgruppenleiter fragen, ob man der Feier wohl beiwohnen dürfe. Sie seien zwar nicht festtäglich gekleidet wie alle die Bauern, die aus ihren Höfen zur Feier der Jugend gekommen sind.
Nach der feierlichen Verpflichtung setzt sich die Schlittenkolonne wieder in Trab. Es geht dem Elternhause zu, wo ein Sonntagsschmaus wartet. Nachmittags sind unsere zur Verpflichtung Gelangten mit ihren Eltern Gäste des Ortsgruppenleiters. An einer langen Tafel nehmen sie bei Kuchen und Kaffee Platz. Die NS.-Frauenschaft hat alles mit viel Liebe und Sorgfalt vorbereitet. Die Augen unserer Jungen und Mädel strahlen. Der Ortsgruppenleiter hat ihnen ein Erinnerungsgeschenk an ihren Ehrentag überreicht. Sing- und Brauchtumsgruppen haben den Nachmittag verschönt, doch bald heißt es heimgehen, denn der Weg in die entlegenen Höfe ist weit und führt durch tiefen Schnee [ ].