Das Bauernhaus im Gau Tirol-Vorarlberg
Das Bauernhaus im Gau Tirol-Vorarlberg
In: Alpenheimat. Familienkalender für Stadt und Land 1944, Seite 71-74
Von Baumeister H. Jilg
Das deutsche Bauerntum hat in den Tälern unserer Bergheimat von alters her durch seine Bauten nicht nur eine unbeugsame Überlieferung unter Beweis gestellt, sondern auch eine lebendige Schaffenskraft geoffenbart, die in ihrer Ursprünglichkeit restlos sicheren Schönheitssinn mit bewunderungswürdigem Naturempfinden und Zweckmäßigkeit paart. Wenn die Erbauer auch ihrer jeweiligen Stammeseigenart treugeblieben sind und dies in der verschiedenen Formanwendung mannigfaltig gezeigt haben; so sind doch die Einheitlichkeit und der Gemeinschaftsgedanke das oberste Gesetz ihrer Handlungsweise gewesen, das sich besonders in der Dorfbildung und später in der Anlage von größeren Siedlungen zeigt.
Mit dem kargen Bergboden verwurzelt, wachsen die Gehöfte breit und behäbig, dem Gelände geschickt angepaßt, frei heraus. Meist sind es Einhöfe, die unter einem ausladenden flachen Satteldach Mensch, Tier und Futter räumlich getrennt bergen. Wo aber das Gelände einen geschlossenen Baukörper nicht mehr erlaubt, sind Wohn- und Futterhaus als Zwiehof geteilt oder zergliedern sich in ganz hohen Berglagen vereinzelt sogar in Haufenhöfe mit freistehenden Wohn-, Stall-, Speicher- und Schuppenbauten. Als besondere Eigenheit unserer Gebirgsgegend gehören noch zur Bewirtschaftung die Futterstall- und Alpbauten, die die Futterstände der entlegensten Gebietsteile einer intensiven Ausnützung zuführen.
Den Baustoff lieferte der eigene Boden. Er bestand zur Hauptsache in Stein und Holz. Der Stein wird entweder nur im Unterbau als lose Schichtung zum Ausgleich des Frostauftriebes angewandt oder, wo in Güte und Menge genügend vorhanden, als aufgehendes Mauerwerk im kunstgerechten Verband mit selbstgebranntem Kalkmörtel vermauert. Bei aller Schlichtheit verstanden es dabei die Erbauer, durch gute Verhältnisse die meist unregelmäßigen Fenster- und Türöffnungen so einzufügen, daß sie mit der unebenen Putzwand eine unnachahmbare Lebendigkeit widerspiegeln. Zur besonderen Betonung bilden nicht selten leicht vorspringende Erker oder steinmetzmäßig behauene Türbogen den feingefühlten Blickfang. Beim Holz ist es meist die Blockwand, die von der einfachsten Rundholzverstrickung bis zur meisterhaft verzimmerten Form verarbeitet wird. An Giebeln und Scheunen kann man auch den handwerklichen Hochstand bei Zierriegeln und Verstrebungen bewundern, der seinesgleichen kaum findet. Blumenbewachsene Söller, rundlaufende Laubengänge, konstruktiv profilierte Pfettenköpfe, Säulen und Ausschnitte gliedern und schmücken in karger Anwendung den Bau.
Wie im Äußeren die getünchten Steinwände im Kontrast zu dem natürlich gebräunten Holz und den beschwerten Schindeldächern eine Harmonie an Farbe und Form darstellen, so ist auch im Innern stets ein zweckerfüllendes Ebenmaß zu finden. Vor allem in der getäfelten Stube fühlen wir den tiefen Sinn des Daheimseins, der Geborgenheit und der Gemeinschaft zeitenlos verankert.
Leider wurde dieser Bautradition seit etwa vier Generationen nicht mehr überall das nötige Verständnis entgegengebracht und die alten Bauwerke stehen in Gefahr eines langsamen Verfalles oder werden durch artfremde Architektur beeinflußt. Wie störend wirken solche modische, meist zu hohe, wo möglich mit Dachausbauten und verkünstelten Zieraten versehenen Neubauten oder gar jene flachen, mit übertriebener Sachlichkeit gewollt ausgefallenen Schöpfungen! Nicht nur die bluts- und bodenmäßige Bindung des Bauern von gestern zu morgen ist dadurch genommen, sondern es wird dem gesamten Volke das natürliche Empfinden für die Schönheit seines Heimatlandes verdorben.
Erst seit der Heimkehr ins Reich wurde entsprechend dem nationalsozialistischen Gedankengute unter anderem auch der völlig darniederliegenden Landwirtschaft in unserem Gaue des gebührende Augenmerk und die Voraussetzung zu einem großzügigen Aufbau geschenkt. Daß dabei die Baumaßnahmen eine überwiegende Rolle spielen, ist dem verständlich, der die tatsächlich gegebenen Verhältnisse kennt. Um in Zukunft nicht den gleichen Fehlern der letzten hundert Jahre, die wir als Bausünden empfinden, zu verfallen, muß wieder zurückgegriffen und dort angeknüpft werden, wo das Bauen am Lande nicht willkürliche Sache eines einzelnen, sondern erprobtes Gemeingut war. Auf dieser natürlichen Grundlage kann dann gesund aufgebaut werden und ist die Weiterentwicklung der mittlerweile vorangeschrittenen Technik und Landwirtschaft sowie Haushaltung mit den Baustoffen harmonisch einzubeziehen. Daher ist die genaueste Kenntnis der damaligen Bauten erforderlich.
In mühsamer Arbeit wurden dazu die guten alten Hofformen unseres Gaues aufgenommen und festgehalten. Dabei zeigte sich in der Hauptsache die typische Verschiedenartigkeit von sieben räumlich begrenzten Grundformen. Diese unterteilen sich dann wieder, den Eigenarten mancher Talschaften entsprechend, in oft auffällige Untergruppen, die nach den Örtlichkeiten benannt wurden und noch erweitert werden können. Genau so wie Brauchtum und jeweilige Trachten erhalten, gehegt und ausgebildet werden, soll auch künftighin die Bewertung der folgend angeführten Hausformen für das Bauschaffen als Anleitung dienen.
1. Das Bregenzerwälderhaus. Die Bauernhöfe im Einzugsgebiet der Bregenzer Ache bis zum Bodensee zeigen eine einheitliche äußere Gestaltung. Das langgezogene Satteldach überdeckt mit einer Neigung bis zu 30 Grad das einstöckige, breitgelagerte Wohn- und Wirtschaftsgebäude, welches durch eine Quertenneneinfahrt räumlich voneinander getrennt ist. Der Hausgang ist seitlich, meist in Verbindung mit einer im Sommer bewohnbaren Laube. Auf einem niedrigen Mauersockel sind die Wände fast immer im Ständerbau errichtet und bieten durch die Konstruktion Platz für auffallend große, zweiteilige Fenster, welche durch eine typisch vorgezogenes Sturzgesims gegliedert werden. Die Außenseiten sind durch Holzschindeln gegen Wettereinflüsse gut geschützt und wirken in der natürlichen dunklen Färbung ernst und kräftig.
2. Das Rheintalhaus. Im Rheintal zwischen Bodensee und Feldkirch und den anschließenden Gebirgshängen finden sich die einzigen Bauformen unseres Gaues mit Steildach. Dieses ist durch Aufschieblinge im unteren Drittel geknickt und erstreckt sich über das Wohngebäude, die Quertenne und das angeschlossene Wirtschaftsgebäude. Seitlich des Wohnhauses ist der Schopf als Abstellraum, der Eingang und vor dem Stall ein freier, überdachter Unterstellplatz. Die größtenteils verschindelten Ständer- oder Riegelwände ruhen auf einem niedrigen Mauerfundament und schützen die großen Fenster mit stark durchlaufenden Gesimsen von oben ab. Der hohe Giebel bietet Platz für den vorderseitigen Ausbau eines dritten Geschosses. Die dort vorstehende Dachkonstruktion wie auch der Schopf und das Wirtschaftsgebäude sind senkrecht verschalt. Der wuchtig hoch aufgerichtete Baukörper ist stark ansprechend.
3. Das Arlbergbaus. Im Montafon, im Klostertal und im Großen Walsertal bis über den Arlbergpaß nach Paznaun und Stanzertal reichend, finden sich zum überwiegenden Teil Zwiehöfe mit freistehendem Wohn- und Wirtschaftsgebäuden. Wie gepaarte Pilze wachsen diese anmutigen Blockbauten mit gleicher Giebelrichtung aus dem bewegten Gelände. Zum Unterschied vom Großen Walsertal wird hauptsächlich im Montafon ein Teil des Wohnhauses in Steinmauerwerk ausgeführt, wodurch eine kontrastvolle Abwechslung in der Fassadenwirkung entsteht. Auch hier findet man den verschalten Schopf an einer Wohnhausseite. Diese Bauart hat besonders in bezug auf gute Belichtung und Brandschadenverminderung Vorteile und ist vielfach bedingt durch die Steillage des Geländes.
4. Das Außerfernerhaus. Das Gebiet des Lechtales und des Tannheimertales bis über Lermoos zum Fernpaß wird von einer nüchternen, zweckmäßigen Bauernhausart besiedelt. Auffallend ist dabei, daß der langgezogene, meist im Wirtschaftsgebäude einseitig verbreiterte Giebel, der direkt gegen die Wetterseite zu steht, dort glatt verschindelt ist. Durch eine Zwischentenne ist das Wohnhaus getrennt angebaut und ganz in Stein mit vorderseitigem Mitteleingang erbaut. Das durchgehende Satteldach springt nur wenig vor und verleitet seitlich zu einfachen Gesimsbildungen. In Höhenlagen wie auch in geschützten Talwinkeln sieht man in gleicher Bauart auch Häuser aus Holz.
5. Das Oberländerhaus. Im oberen Inntal mit seinen südlichen Nebentälern und dem Mieminger Plateau bis Telfs trifft man die vielfältigsten Bauernhäuser unseres Gaues an. Es sind größtenteils in Stein gemauerte Einhöfe, die sich zu kleinen Siedlungen, in ebenen Lagen auch zu geschlossenen Ortschaften gerne vereinen. Die Berghöfe an steilen Hängen, die oft nicht mehr den rückwärtigen direkten Anbau des Wirtschaftsgebäudes unter einem Dach vertragen, sondern dieses seitlich oder tieferliegend anbauen, wetteifern auch in lebendiger Gestaltungskraft. Fensternischen, Erker, Torbögen, Treppenaufgänge sowie offene Holzziergiebel schmücken die Bauten. Im mittleren Ötztal finden sich auch Paarhöfe mit Doppelgiebeldächern.
6. Das Mitteltirolerhaus. Die Landschaft um Innsbruck von Telfs bis Schwaz wird von einer ausgeprägten bäuerlichen Zweckform beherrscht. Vielfach sind Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude längs den Dachfirsten aneinand[er] gebaut. Während das Wohnhaus und der Stall in Stein errichtet sind, wird die Scheune vorwiegend mit verschaltem Zierriegelwerk abgeschlossen, was an den breiten Giebelseiten eine wirkungsvolle Abstufung zwischen Holz und Mauer ergibt, die durch Söller, Erker oder Blumenfenster noch gesteigert wird. Bei Einzelhöfen an den Berghängen des Wipptales zum Beispiel fügt sich die Dachführung der Talrichtung an, bei Platz- und Dorfbildungen hingegen ist es immer der Vordergiebel mit Eingang, der dem Beschauer zugekehrt wird.
7. Das Unterländerhaus. Im Unterinntal und im Kreis Kitzbühel breitet sich ein großzügiger, langgestreckter Haustyp aus, der immer Wohn- und Wirtschaftsgebäude unter einem breitgelagerten flachen Dach birgt, das meist mit einem Glockentürmchen gekrönt ist. Vielfach handelt es sich um Einzelhöfe. Besonders auffällig sind die nach oben sich verbreiternden rundlaufenden, zum Teil reichhaltig geschmückten Laubenbalkone beim Wohnhaus, die seitlich auf die ebenfalls vorgezogenen Scheunenwände auslaufen. Während in der Thierseer und Walchseer Gegend das ganze Wohnhaus und der Stall gemauert werden, kommt das bei den Höfen im Brixental nur noch im Erdgeschoß und bei weiter südlich liegenden Seitentälern fast gar nicht mehr vor, sondern es sind dort alle Wände wie in Alpbach in Holzblock meisterhaft aufgezimmert. Dazu passen sich noch die auf den Berggründen verstreut stehenden Futterstätte harmonisch an. In den Ausläufern der Tuxer Alpen bedingen die steilen Hänge die Anlage von Haufenhöfen, welche Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude und Getreidekasten voneinander getrennt, aber artgebunden mit talwärts gerichteten Giebeln gruppiert haben.
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Von der Schönheit des Tiroler Bauernhauses
In: Tirol-Vorarlberg. Natur Kunst Volk Leben 1939, Heft 1, Seite 16-23
Von Hugo Atzwanger
Wenn man sieht, welche Anstrengung es kostet, einen Nutzbau von heute schön zu gestalten, dann muß die Schönheit unseres Bauernhauses, das ja einen reinen Nutzbau darstellt, höchste Achtung erwecken.
Die Schönheit des Bauernhauses liegt in seiner unbedingten Wahrhaftigkeit. In der Selbstverständlichkeit, mit der es aus dem Boden wächst, von dem es auch seine Baustoffe erhält, und durch die es, selbst ein Stück Landschaft geworden, sich störungslos der Umgebung einfügt. Seine Schönheit beruht auch auf der Folgerichtigkeit, mit der es bis in das kleinste Zierstück seine Formen entwickelt, so daß sie immer noch Ursprung und Zweck erkennen lassen. Auch die Mannigfaltigkeit erhöht seine Schönheit. Und ungemein mannigfaltig sind die Einflüsse, die gerade beim Werden des Tiroler Bauernhauses mitwirken: Einmal der vielgestaltige Boden seiner gebirgigen Heimat, dann der Umstand, daß dieses an sich kleine Land wirklich nach allen Himmelsrichtungen große Gebiete ganz verschiedener Art zu Nachbarn hat, deren Einflüsse sich hier treffen und gegenseitig durchdringen. Zudem hat sich in den abgeschlossenen Tälern des eigenen Landes vieles an Bauformen erhalten, was anderwärts längst verschwunden, hier aber noch neben den neueren Formen weiterlebt; alles Voraussetzungen zu größter Vielfältigkeit der Erscheinung.
Das Bauernhaus des gesamtdeutschen Lebensraumes gehört sicher zu den würdigsten und wohlgeordnetsten, wenn es nicht überhaupt an erster Stelle steht. Vergleicht man nun das Tiroler Bauernhaus mit dieser Gesamtheit der deutschen Bauernhäuser, so muß es allerdings hinter vielen zurückstehen. Bedingt durch die schwierigen Lebensverhältnisse seiner kargen Bergheimat, kann es die Großartigkeit der Anlage z. B. der norddeutschen, aber auch den Reichtum der Ausgestaltung vieler mitteldeutschen und Schweizer Bauerngehöfte nicht erreichen. Seine schmucke Niedlichkeit aber hat viel Anziehendes, daß es sich in aller Welt Freunde und Bewunderer erworben hat und viel beliebter und bekannter ist, als viele seiner größeren und reicheren Artgenossen.
Das Tiroler Bauernhaus scheint nicht so sehr gebaut als gewachsen. Es findet sich nicht nur auf jedem irgendwie gestalteten Grunde zurecht, es weiß vielmehr jede Bodenform ebenso wohl seinem wirtschaftlichen Vorteile als auch seiner baulichen Schönheit dienstbar zu machen. Unbedenklich lehnt es sich an einen Felsblock an. Eine Geländefurche überbrückt es mit mächtigem Mauerbogen oder baut sich auf demselben über den steilen Hang hinaus. Oder es reiht sich, mit seiner Langseite an den Hang geschmiegt, an den oft mehrfach übereinander an den Talflanken entlang ziehenden Höhenwegen, wie auf beiden Seiten der Brennerhöhe im Wipptale, und grüßt mit seinen weißen Hauswänden ins Tal herab. Die Eisacktaler und Pusterer Paarhöfe wieder bauen sich am Steilhang gerade ins Tal hinaus, und ihre weißen Mauerwürfel und die pyramidenförmigen, hohen und steilen Strohdächer ihrer Städel heben sich scharf wie Kristallformen aus den weicheren Linien des Geländes. Meist stehen unsere Bauernhäuser breitspurig da, auf nach oben sich verjüngendem Mauersockel, andere kelchförmig nach oben sich erweiternd durch weit ausgebaute Holzumgänge im Oberstock und das darüber noch vorspringende Dach.
Schön macht das Tiroler Bauernhaus auch die verschiedenartige Anordnung. Neben dem schon erwähnten Paarhof mit der kennzeichnenden Zweigebäudeform gibt es Gehöfte, die für sich ganze Gruppen bilden. Um die Kernstücke "Feuerhaus und Futterhaus", wie Wohnhaus und Stadel auch genannt werden, stehen in lockerem Zusammenhange der hochgestelzte Kornkasten, Wagen- und Geräteschuppen, der Backofen mit weitem Flugdache und gelegentlich auch die Getreidemühle. Weiters noch die hochaufragenden Trockengestänge, im Sarntal für Heu Köis"n genannt, im Pustertal auch für Getreide verwendet und "Harpfen" geheißen und seltener im Inntal als "Türkenhäng". In den vom Süden beeinflußten Gegenden sind die Hauptgebäude solcher Gruppenhöfe oft durch eine Mauer mit zinnenbekrönten und mit Bildnischen geschmückten Torbögen verbunden, die dem Ganzen ein sehr ansehnliches und malerisches Aussehen verleihen.
Von wieder anderer Schönheit ist das Bauernhaus, das alles Zubehör in einem einzigen. langgezogenen Rechteckbau und unter einer gleichmäßig darübergezogenen Dachfläche vereinigt, wie das Unterinntaler Haus. Die langgestreckte Form, die vielen, in ungebrochener Längsrichtung laufenden Linien des schmalen Unterbaues, der weit vorragenden Söller, der Söllergeländer und des niedrigen, breiten Daches geben diesen Bauten eine wundersame Geschmeidigkeit und trotz der allumfassenden Größe eine erstaunliche Leichtigkeit, die etwas von der Gleitfähigkeit eines Schiffskörpers in sich hat. Trotz seiner Geschlossenheit in der Gesamtansicht ist es im übrigen das aufgelockertste und zierlichste aller Tiroler Bauernhäuser. Das kommt wohl von seinem Baustoffe, dem Holz, aus dem es zur Gänze oder wenigstens vom gemauerten Erdgeschosse ab aufgeführt ist, und von der gefälligen Auflösung seiner Außenseiten durch die meist zweistöckigen Holzumgänge, die "Laab"n", deren Geländer und zarte Stützsäulen noch leicht nach oben auswärts gestellt sind.
Gerade der verwendete bodenständige Baustoff macht einen wichtigen Teil der Schönheit des Bauernhauses. Und da in ältester Zeit für das Bauernhaus der Holzbau allgemein war, hat sich auch eine besondere Fertigkeit darin in unserem Lande bis auf den heutigen Tag erhalten. Reine Holzhäuser finden sich aber heute abgesehen vom Unterinntale nur mehr in den höchstgelegenen Teilen unserer Täler. Die schön gefügten Holzwandungen, die kunstvoll verschränkten Dachgiebelbalken, von der Sonne verbrannt bis ins tiefste Rotbraun und Samtschwarz, gehören von je zu den Schönheiten unserer Heimat. Anders wieder leuchten die Fronten vieler der großen Unterinntaler Holzhäuser in einem fast frischen, nur goldiger gewordenen Holzton. Er wird dadurch erhalten, daß die Unterländer am Inn ihre schmucken Wohnhäuser alljährlich von unten bis oben, die Untersicht des Dachvorsprunges mit inbegriffen, abwaschen, wie man einen Dielenboden fegt.
Des Holzes bedient sich das bodenständige Bauernhaus auch zur Bedachung. In zartem Silbergrau erglänzen die gebleichten Schindeln zuerst in die Landschaft, wie schwarzes, gesträubtes Gefieder sehen sie im Alter aus, wenn sie von der Sonne verbrannt sind und in der Nässe sich geworfen haben; und wie Silberstickerei hebt sich darauf dann ab das Gestäng und die daraufgereihten Steine, die die nur locker aufgelegten Schindeln niederzuhalten haben. Das Gezelt des Daches baut sich meist sehr flach über dem Kranzgesims der Wände auf und legt sich schützend und breit über das Haus. Von anderer Art Schönheit wieder sind die steilen, mit dem zur Bedachung wundersam sich eignenden Stroh gedeckten Dächer der gewaltigen Städel und selten werdenden ältesten Bauernhäuser auf den Höhen über dem mittleren Lauf des Eisacks und der Etsch.
Die Schönheit schon des rein Zweckmäßigen und Handwerklichem am Tiroler Holzbau läßt sich wiederum am besten am Unterinntaler Hause beobachten. Nehmen wir z. B. die Giebelfront eines Zillertaler oder Alpbacher Hauses vor. Etwas über dem Erdboden erhöht, öffnet sich das Haustor mit schön gezimmerter Volltüre, vor der sich noch ein niedriges, zierliches Gatterl befindet, das bei geöffneter Haustüre dem Klein- und Federvieh den Zutritt in den Hausgang verehrt. Vor der Türe dehnt sich ein reinlicher Bretterboden von halber Hausfrontlänge, zu dem, wie bei einem großangelegten Altaraufbau, von den drei Seiten bequeme Stufen hinaufführen. In der Länge dieses Bodens ziehen sich an der Blockwand des Hauses beiderseits der Haustüre lange Bänke hin, seitlich begrenzt durch armlehnenförmig ausgeschnittene Abschlußbretter. Bis an diese heran reichen von den Langseiten des Hauses her und um die Ecke herum die sorgfältig aufgeschichteten Brennholzbiegen. Über Tür und Bänke zieht sich als Schutz und Dach der erste Söller hin, so daß schon der Türvorplatz etwas Abgeschlossenes und stubenartig Behagliches hat. Meist baut sich über dem ersten Söller noch ein zweiter auf, und über denselben breitet sich dann der weite Dachvorsprung, aufruhend auf konsolenartig aus der Wand heraustretenden, stufenartig einander überdeckenden Balkenenden. Vom Dachfirst erhebt sich noch auf schlankem Stile das zierliche und bedachte Glockenstühlchen für die Essenglocke und schließt das Ganze lustig ab, wie beim Lied der Jodler. Ohne auch nur eine einzige eigentliche Schmuckform aufzuweisen, kann eine solche Hausfassade von geradezu monumentaler Schönheit sein!
Schönheiten, die dem rein Handwerklichen des Holzbaues entspringen, sind auch die sich kreuzenden Balkenköpfe an den Hausecken und die vorstehenden Balkenkopfreihen an den Wänden; letztere bilden eine schöne Gliederung der Wandflächen und auch eine sinngemäße, da sie die innere Einteilung schon von außen erkennen lassen. Auch die Balkenverspreizungen und die Falzschnitte an Stadelwänden und Giebelverschalungen erfreuen den Schönheitssinn. Wie schmuck wirken auch die in Zickzack- oder Rautenform eingeschlagenen Holznägel an Scheunentoren u. dgl. m.
Den uns so lieb gewordenen Gegensatz von weiß gekalkter Mauer und braun gebranntem Holz, der für unsere Bauernhäuser so bezeichnend ist, verdanken wir dem Mauerbau, der etwa von 1500 ab auch beim bäuerlichen Wohnbau Verwendung fand. Er ist besonders im Süden des Landes verbreitet, hat sich vom Vintschgau aus durchs Oberinntal bis Außfern in Geltung gebracht und ist im Inntal auch bis unter Innsbruck stark vertreten. Ganz besonders schöne Beispiele dafür finden wir z. B. in Thaur bei Hall. Mit den kraftvollen, gemauerten Erdgeschossen, mit tiefen Fensternischen, unterwölbten, dem Hauseingang vorgelegten Aufgängen und mit den gewölbten Hausfluren im Hausinneren bereicherte der Mauerbau die Schönheit des Bauernhauses.
Von nun an verwendet der bäuerliche Hausbau auch wirkliche Stil- und Schmuckformen, so die Rund- und Spitzbogentore, und in Gegenden, die als Durchzugsgebiete mit städtischem Wesen in Berührung kamen, den Wand- und Eckerker. Besonders der Erker hat sich zu einem Hauptschmuckstück des Bauernhauses weiter Gebiete herausgebildet. Aber auch er wurde dem bäuerlichen Hauscharakter erst angepaßt; er wurde gedrückter und erhielt dadurch die niedrige, dafür aber breitere, behaglich ländliche Form. Manchmal erscheint er als schmaler, nur zweiseitiger Vorsprung, als sogenannte Erkernase. Eine eigene Erkerform hat sich das beiderseitige Wipptal auch für die Berghöfe ausgebildet, den ebenerdigen Erker, der auf dem Boden aufruht.
Zum schönsten Schmuck des Tiroler Bauernhauses gehört noch die Bemalung, die wohl seit frühester Zeit das gemauerte Haus belebt und verschönt. Mit wenigen aber kräftigen Farben verziert besonders im Süden die früheste Hausmalerei die Bauwerke, begleitet die Mauerkanten, umrahmt und vertieft die Fensternischen, säumt den Mauerkranz unter dem Dache und unterteilt die Stockwerke. Bildliche Darstellungen aus älterer Zeit finden sich in der Hausbemalung wenige; erst im Barock beginnt, diesmal besonders im nördlichen Tirol, eine farbenfrohe und freudigbewegte Malkunst, die Hauswände auszuschmücken, und beste Barock- und Rokokomeister sind daran beteiligt. Allen voran steht hier das Lechtal mit seinen vielen wunderschön und reich bemalten Häusern.
Auch die rein handwerkliche Schönheit des Holzbaues erhält ihre Vollendung durch die Hinzunahme der kunststilmäßigen Schmuckformen. Wieder steht hier der Süden des Landes voran mit kunstvollen Stubenvertäfelungen und den dazugehörigen Deckendurchzugsbalken, die oft zu sehenswerten Werken spätgotischen Geschmackes gebildet sind. Eine ebenfalls noch gotische Bogenform, der sogenannte Eselsrücken, ist sehr häufig für Türsturzbalken an Holztüren verwendet und lebt, zu reichen Formen fortentwickelt, an unterinntalischen Holzbauten fort und in schon barock anmutenden Formen noch an den Haustüren des Lechtales.
Im Unterinntale, wie wir gesehen haben, dem Dorado der Tiroler Holzbaukunst, scheint man erst von der Mitte des 17. Jahrhunderts an zu den Werkformen auch die Stilschmuckformen hinzugenommen zu haben, und hat nun mit unerschöpflicher Erfindungskraft und Abwechslung die Dachtragbalken, die Söllergeländer und Söllerstützen und das Eßglockentürmchen verziert, schließlich diesen Schmuck auch noch durch bunte Faßmalerei hervorgehoben und so wirkliche Schaustücke zierlicher und freudiger Holzarchitektur geschaffen.
Wo sich nun Holz- und Mauerbau mit ihren zugehörigen handwerklichen und ausschmückenden Fertigkeiten treffen, die Weiße der Mauer mit den tiefen Holztönen, buntfarbige Malerei mit zierlichem Schnitzwerk des Gebälks, lustig sitzende Erker mit behaglich aufruhenden Dächern zusammenwirken, wie da und dort im mittleren und oberen Inntale, da kann man wahre Prachtstücke von Bauernhäuser erleben.
Und wenn dann noch die Bäuerin alle Fenster voll mit brennender Lieb und glutroten Nagelen bestellt und die liebe Heimatsonne die Türkenkolben, die unterm Dachgiebel hängen, wieder einmal ganz besonders goldig hat werden lassen dann soll mir einer sagen, was es Schöneres gibt als ein Tiroler Bauernhaus!
Alpenheimat. Familienkalender für Stadt und Land 1945, Seite 66-68