Josef Pöll
Josef Pöll (1874 Heiligenkreuz/Hall in Tirol - 1940 Hall in Tirol) war wie so viele gebildete und kreativ schöpferische Persönlichkeiten seiner Generation dem Nationalismus ergeben, der sich insbesondere im Gefühl und Ausdruck von „Heimatliebe“ manifestierte. So widmete auch Pöll seine vielfältigen Talente dieser für einen Patrioten unausweichlichen Verpflichtung. Im romantischen Überschwang definierte sich „Heimat“ vor allem im Erlebnis von Natur und im Bestreben, sich aktiv zur Verschönerung und ideellen Bereicherung persönlich einzubringen. Josef Pöll war es folglich schon von frühester Jugend an ein Anliegen, Volkslieder zu sammeln, um sie als Mittel emotionalen Heimaterlebens zu bewahren und zu verbreiten. Dieser Intention folgend schrieb er zudem an die 70 Eigenschöpfungen im „Volkston“. Die Motive für seine Lieder entnahm Josef Pöll dem Tiroler Volksleben: auf seinen Wanderungen von Begegnungen und Erlebnissen abstrahiert verwandelte er es in originelle klingende Miniaturen. „Ich schöpfe es [das Lied] aus der Volksseele […]“, schreibt Pöll im „Geleitwort“ des 1. Bandes seiner „Lieder zur Laute im Tiroler Volkston“, dessen erste Auflage 1922 in „Diessen vor München“ (Dießen am Ammersee) im Verlag von Josef C. Huber erschien. Zwei weitere „Bändchen“ folgten. Von ihrer nachhaltigen Akzeptanz und weiten Verbreitung zeugen mehrere Auflagen (zum Beispiel: Bd. 1 in 3. Auflage 1940 bei Huber in Dießen, in 4. Auflage 1949 (!) bei Groß in Innsbruck; Bd. 2 und 3 in jeweils 3. Auflage 1934 bei Groß in Innsbruck; Reprints von Bd. 1-3 im Jahr 1970). Josef Pöll verstand es in idealtypischer Weise, dem Identifikationspotential seiner Landsleute gerecht zu werden, wodurch viele seiner Liedschöpfungen auch ungezwungen Eingang in das Allgemeingut der Volksliedpraxis fanden.
Wie viele seiner heimatverliebten Zeitgenossen kam Josef Pöll ebenso unter das Räderwerk der Nationalsozialisten. Obwohl sein integrer Charakter der Gewalt der Ideologie mit Sicherheit ferne stand, sah er in der „Bewegung“ und ihrem auf die Volkskultur fokussierten Kulturverständnis sicherlich Vieles mit seiner Weltsicht im Einklang. Jedenfalls haben die Nationalsozialisten das Wirken dieses hochverdienten schöpferischen Menschen für ihre Propaganda genutzt. Dies wurde nachdrücklich in einer „feierlichen Gedenkstunde“ im Festsaal der Innsbrucker Hofburg am 29. Juni 1940, wenige Tage nach dem Tod Josef Pölls, öffentlich demonstriert und medial inszeniert. Mit Gauleiter Franz Hofer, seinem Stellvertreter Herbert Parson und dem Innsbrucker Kreisleiter Dr. Max Primbs stellte sich zu diesem Anlass die höchste Parteiprominenz ein. Gauleiter Hofer würdigte in seiner Gedenkrede Josef Pöll als Liedschöpfer und vereinnahmte dessen Persönlichkeit und Wirken im Sinn der Parteiideologie.
Karl Paulin widmete Josef Pöll in den Innsbrucker Nachrichten vom 22. Juni 1940 einen von ehrlicher Bewunderung erfüllten Nachruf (Seite 6):
Auch in dem von ihm herausgegebenen Periodikum Alpenheimat. Familienkalender für Stadt und Land, 1942, lässt Karl Paulin unter der bezeichnenden Überschrift „Dem heimattreuen Meister des Tiroler Liedes zum Gedächtnis“ eine ausführliche Würdigung Pölls folgen:
Zur Verleihung des Mozart-Preises 1938 an Josef Pöll bringen die Innsbrucker Nachrichten vom 4.Juni1938 auf Seite 12 einen ausführlichen Beitrag zu Leben und Werk des Geehrten. Der Autor vermittelt einleitend interessante Details zum Männerchorwesen in Tirol sowie dessen Repertoiregestaltung und verweist dabei, der Zeitästhetik folgend, auf die fundamentale Bedeutung des Volksgesangs:
Ein Tiroler – Träger des Mozart-Preises
Hohe Ehrung eines Meisters des heimatlichen Volksgesanges – Josef Pöll und seine Tiroler Lieder
Das Kuratorium für den Mozart-Preis hat, wie berichtet, den Beschluß gefaßt , den für das Jahr 1938 auszusetzenden Mozart-Preis an den steirischen Dichter Franz Rabl und an den Meister des tirolischen Volksliedes, den weit über seine Heimat hinaus rühmlich bekannten Chormeister der Sängervereinigung „Die Wolkensteiner“, Prof. Dr. h. c. Josef Pöll, Innsbruck, zu verleihen. Ueber den Festakt, der gestern abends im Mozarteum in Salzburg stattfand, berichten wir an anderer Stelle [„Innsbrucker Nachrichten“ vom 4. 6. 1938, Seite 11, siehe unten].
Aus dem freudigen Anlaß dieser Ehrung eines Mannes, der wie kaum ein anderer mit der Tiroler Heimat und dem Tiroler Volkstum verwachsen ist, bringen wir im folgenden eine ausführliche Würdigung unseres Landsmannes Prof. Dr. h. c. Josef Pöll von berufener Seite, welche die Persönlichkeit, den künstlerischen Entwicklungsgang und die Schöpfungen des tirolischen Trägers des Mozart-Preises aus tiefster heimatlicher Verwurzelung deutet.
Alle Kunst war ursprünglich Volkskunst und wird in ihrer Weiterentwicklung und Verfeinerung immer wieder aus der frischen Quelle des vielfachen natürlichen Volksempfindens genährt. Das ist ganz besonders in der Musik zu verspüren, die im Streben nach Durchgeistigung und „kunstvoller“ Gestaltung und bei Außerachtlassung urtümlicher und deshalb allgemein verständlicher Schönheitswerte und leider auch durch Heranziehung volksfremder Formen immer mehr in Gefahr kommt, ins Unfaßbare und Unverständliche sich zu verlieren oder ausschließlich Eigentum einer auserlesenen Kaste sogenannter Gebildeter zu werden, die trunken sich dem hingeben, was sie eigentlich selbst nicht recht begreifen.
Ein gutes Beispiel dafür gibt die Männerchorliteratur im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts. Die Chormeister legten gar oft ihren Stolz darein, ihren Sängern, einfachen, ehrsamen Bürgern, die mit den Noten noch arg zu kämpfen hatten, moderne Gigantenchöre einzupauken, die aus ungenießbaren Dissonanzen, unmöglichen Tonmalereien und kontrapunktischen „Möchtegernsetzen“ [!] zusammengekleistert waren. Das Publikum hörte ruhig zu und klatschte. Die Sänger fühlten sich als Halbgötter und ließen andächtig eine Halbe Bier nach dieser künstlerischen Tat hinabgleiten. Und die Leistung? Ein programmäßiges Konzert nach Paragraph 3 der Vereinssatzungen. Weiter nichts.
Es gab mahnende Stimmen genug und zum Teil wurden sie auch gehört. Immer öfter fand man deutsche Volkslieder in den Programmen eingestreut, aber nur, weil das gewissermaßen Mode geworden war. Den Glanzpunkt bildete halt doch eine Nummer „Kunstgesang“.
Den Volksgesang ausschließlich im Konzertsaal mit einem auserlesenen kleinen Männerchor oder Quartett vorzuführen, wagten schon die in Tirol rühmlichst bekannten „Vogelweider“ und die Innsbrucker Turner-Sängerriege, erstere schon in den Achtzigerjahren im Redoutensaale, doch waren das nur zu bestimmten Zwecken gegebene Veranstaltungen, nicht eigentliche Konzerte.
Das erste Volksliederkonzert der „Wolkensteiner“
Nicht ohne gewisse Bedenken versuchte wohl zum ersten Male die Innsbrucker Sängervereinigung die „Wolkensteiner“ nach dem Kriege im Großen Stadtsaal unter der Führung Georg Bairs ein Volkskonzert, in dem nur Tirolerlieder geboten wurden.
Josef Pöll sang damals als „Wolkensteiner“ in grüner Lodenjoppe im ersten Baß mit; der Erfolg war derart, daß das Konzert zweimal wiederholt werden mußte. Der Bann war gelöst und von nun an wiederholten sich solche Liederabende und fanden allgemeinen Beifall. Die enge Volksverbundenheit der 17 Sänger und ihrer Lieder bezauberten die Herzen.
In der Liederfolge der Wolkensteinerabende waren stets vier Liedgattungen vertreten: Gesänge des Minnesängers Oswald von Wolkenstein aus dem 15. Jahrhundert, tirolische Krippen- und Wiegenlieder, echte Tiroler Volkslieder und Neuschöpfungen von Josef Pöll im Tiroler Volkston. Die Chordarbietungen und Tonsätze besorgte anfangs nur Pöll, später hat auch der hochbegabte Tiroler Komponist Artur Kanetscheider, ebenfalls ein „Wolkensteiner“, wertvolle Beiträge geliefert.
Josef Pölls Werdegang
Die Seele der kleinen, meisterhaft geschulten Sängerschaft, die in den verflossenen 15 Jahren ihre Ruhmeskränze aus dem Deutschen Reich, der Schweiz und Italien holte, war Josef Pöll, dem Alldeutschland gestern abends in Salzburg den Mozartpreis überreichte.
Josef Pöll hat seine Heimat im Zillertal. „Mei Hoamatl hab i im Zillertal drin“ erzählt er uns ja selbst in seinem Liedchen, das nun schon Eingang gefunden hat in die entlegensten Hochtäler und gar oft auf Aetherwellen aus entfernten Gauen und zufliegt. In seiner frühesten Jugend umkosten ihn die Klänge der Zillertaler Lieder, die ihm seine Mutter vorsang. Er sang sie bald nach, und die alte Gitarre von Meister Thomas Simon aus Mittenwald sang mit ihm. So fiel kostbare Saat in die junge Seele, und sie fiel auf guten Boden. Mit zwölf Jahren schrieb der Knabe die Lieder, die ihm die Mutter diktierte, in ein Heft, allerliebste kleine Kunstwerke mit ergreifenden Weisen, manchmal auch mit neckischer Würze bestreut. Aus jener Zeit stammt der köstliche Kanon „Hatt nit glabt, daß Fischgrat’n dös tat’n, dös tat’n“, den Pöll 45 Jahre später für die „Wolkensteiner“ zu einer Scherzfuge formte.
Pölls Lebenselemente
Seine Studienjahre segneten Pöll zwei liebenswürdige Genien, die ihn bis ins Alter nicht mehr verließen: Musik und Freude am Forschen in der heimischen Blumenwelt. War er in den Naturwissenschaften zunächst nur Autodidakt, so kam sein Musikstudium schon frühzeitig in zielsichere Bahnen, denn er hatte das Glück, in Professor [Wenzel] Skop [(1848 Wildenschwert/Böhmen - 1932 Zirl?)] einen strengen und zugleich gütigen Lehrmeister zu finden, der ihn in alle Geheimnise des Kontrapunktes einführte und seine ersten Kompositionsversuche rücksichtslos aus bizarren Krümmungen gerade bog. Skop war es auch, der Pöll die Kenntnisse mittelalterlicher Notation und musikalischer Gestaltung vermittelte. Ergänzend und vertiefend wirkte [der Innsbrucker] Pfarrchordirektor [Melchior] Haag [(1860 Eben/Achensee - 1902 Brixen/Südtirol)], dessen gründliche Unterweisung im Choralgesang und in den alten Kirchentonarten Pöll bei seinen späteren musikgeschichtlichen Studien zugute kamen.
Das Volkslied – Pölls Lieblingsgebiet
Versunken in die großen Schöpfungen eines Bach, Mozart, Beethoven, Schumann und Wagner, vergaß Pöll doch nie das Volkslied. Aus den Jugendtagen umschwebten ihn immer noch wie lichte Englein die schlichten Weisen aus dem Zillertal und oft genug stellte er für seine Jugendfreunde leichte Tonsätze zusammen und da wurde dann schlecht und recht drauf los gesungen.
Als junger Lehrer durchwanderte Pöll meist allein die Täler und Berge von Nord- und Südtirol mit seiner Pflanzenmappe. Singend zog er durch die blühenden Fluren seiner Heimat, singend zur Laute saß er im Freundeskreise oder unter Bauern und Sennern in einem einsamen Berghof oder an der Esse einer Almhütte, wenn die Sonne allzu früh hinter dunklen Bergkuppen und zackigen Graten verschwand, singend saß er so manches Mal im Schatten einer Edelkastanie, wenn ein „Gitschele“ aus dem Burggrafenamte oder dem Eisacktal ihm kühlen Leitenwein kredenzte.
Oswald von Wolkenstein und seine Minnelieder
Südtirol! Da saß einst am Fuße des Schlern ein deutscher Ritter und sang Minneleider und sang von einer stolzen Frau, von blutiger Fehde mit einem Herzog und von feurigem Traminer Wein. Droben auf der Seiseralm und drunten im Etschland erklangen seine Lieder. Und da ruhte einmal Pöll im Fichtenschatten vor den Trümmern der Waldburg des Wolkensteiners, und sein Sinnen sank hinein in vergangene Jahrhunderte. Ehe er sich talwärts wandte, las er die Inschrift der Steintafel, die im Efeugerank am Burgfelsen angebracht ist:
„Was hier von Lenz und Minne
sang Oswald Wolkenstein
mit ritterlichem Sine,
darf nie verklungen sein.“
Da war sein Entschluß gefaßt. Er wollte Oswalds Lieder singen und sie hinaustragen in die Welt, um ihr zu zeigen, daß in den Bergen Südtirols deutscher Minnesang blühte. Bald saß Pöll in der Schatzkammer der Universitätsbibliothek in Innsbruck vor der Kassette, die die kostbaren Pergamente mit den Liedern Oswalds enthielt. Traumbefangen blätterte er darin, und wie feierliches Tönen aus tiefen Grüften stiegen die Gesänge empor.
An einem Winterabend hielt er in der Veranda des Gasthofes Hellenstainer im Kreise des Deutschen Männergesangvereines Innsbruck einen Vortrag über Oswald von Wolkenstein und sang mehrere Lieder des ritterlichen Sängers.
Toni Fischer, der verdienstvolle Ehrenchormeister der prächtigen Sängerschaft, regte Pöll an, ein Lied des Wolkensteiners für Männerchor zu setzen, und im nächsten Konzert rauschten die herrlichen Klänge des Tagliedes „Los frau“ durch den Stadtsaal.
Prof. Pöll als Wiedererwecker der Wolkenstein-Lieder
Es folgten bald weitere Bearbeitungen für großen Chor: „Es nahent gen der wasennacht“ und die „Weinfuge“. Toni Fischer verstand es meisterhaft, die alt anmutenden Chöre stilvoll zu gestalten. Für intimere, kammermusikalische Wirkungen eignete sich aber ganz besonders der kleine Chor der „Wolkensteiner“, der durch sorgfältige Pflege der Lieder des Minnesängers seine besondere Eigenart erhielt.
Nach dem aus Gesundheitsgründen erfolgten Rücktritt [Georg] Bairs übernahm Pöll die musikalische Leitung dieser künstlerisch und freundschaftlich beispielgebend zusammengefügten Sängertruppe. Die Lieder Oswalds bildeten nun die stolzeste Zier ihrer Programme. Was Pöll einst vor der Steintafel im Hauensteiner Walde gelobt, hat er getreulich gehalten.
Nicht minder wertvoll und ganz einzigartig in Wesen und Wirkung sind die alten Krippenlieder und ähnliche Gesänge aus religiösem Gebiete (wir nennen davon nur die feindurchdachte Bearbeitung des südtirolischen Liedes „Bitte bei Maria um Sonnenschein“), die Pöll bei jedem Liederabend einflicht. Nur aus gründlichem Verständnis der natürlich und inbrünstig fühlenden Volksseele heraus können solche Blüten sich entfalten.
Wenn Pöll nun die heiteren Volkslieder der Heimat heranzieht, weiß er sie so zu gestalten, daß ihre ganze Schönheit sich restlos entfalten kann. Seine Sänger gehorchen jedem leisesten Wink, es ist ein Herzschlag, der das Ganze bewegt und durchblutet.
Pöll über seine eigenen heimatlichen Lieder
Und nun zu Pölls Eigenschöpfungen. „Lieder im Volkston“ nennt sie der Verfasser, im Volke sind sie als Pöll-Liedln bekannt und werden allenthalben gesungen. Mancher, der keine scharfe Grenze zwischen Altem und Neuem zieht, hat sie schon Volkslieder genannt. Dagegen wehrt sich Pöll auf das entschiedenste.
Es sagte selbst gestern abends anlässlich seiner Auszeichnung in Salzburg:
„Ich erkläre hier vor diesem Forum, das mich mit einem so ehrenden Preis auszeichnet, daß ich niemals mir einbildete, ein Volkslied machen zu können. Das Volk allein kann das nur tun und ein Lied zum Volkslied krönen, wobei es nie nach dem Namen des Verfassers frägt. Allerdings muß einmal einer gelebt haben, ein Unbekannter, des es schuf, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Tal oder Land in Schichtarbeit sich ein eigenes Lied baut.
Wenn das Singen und Jubeln in mir sich zum Liede formt, so war ich genau so berechtigt, es hinauszusingen in die Welt und es singen zu lassen, wie jeder ehrliche Dichter berechtigt ist, sein Werk dem Volke zu geben. Ich wollte nur Lieder für das Volk machen, aber keine Volkslieder. Und daß ich das durfte, zeigt mir der heutige Tag.“
Wie Pöll-Liedln entstehen
Es sind meist belanglose kleine Erlebnisse auf einsamer Wanderung, die Pöll zum Liede anregten.
So saß er einst nach dem Abstiege vom Simmingjoch vor einem trüben Bächlein ober der Lagonesalm. Die Lärchen standen schon in lichtem Golde, da entstand das Liedchen „Wenn’s Wasserl allm trüeb war.“
Als am Hang ober Mühlau eine Schar Zeisige ihn umflatterte und unter ihm ein junges Pärchen Arm in Arm bergauf ging, formte sich das „Zeisele“ zu weichem Klingen.
In Mutters sah er, wie ein Bauerndirndl sich schnippisch von einem Burschen abwandte. Ueber die Wiesen flog gerade ein Rabe vom Walde her. Das Bild ließ Pöll nicht mehr los, und als er abends in der Adolf-Pichler-Hütte saß, sang er „Drobn af an Tannenbam, da hockt a Rapp“.
Einmal stieg er von der Umbrückleralm herab und sah vor dem letzten Hause des Oberdorfes in Hötting ein Mägdlein mit kohlschwarzen Augen vor der Tür sitzen. Da war der Inhalt der „Kasermanndln“ gegeben.
So kam es, daß Josef Pölls Singen so bergfroh und heimatverwachsen ist.
Dem Meister der volkstümlichen Kunst
Festliche Verleihung des Mozartpreises an den Innsbrucker Josef Pöll
In: Innsbrucker Nachrichten vom 4. Juni 1938, Seite 11
Von Karl Paulin
Salzburg, 4. Juni.
In der Mozartstadt fand gestern abends eine Feier statt, die der Ehrung zweier Meister volkstümlicher Kunst der Ostmark galt und gleichzeitig ein Fest der Alpenuniversitäten war, von denen die beiden Hochschulen von Graz und Innsbruck in einer dritten ostmärkischen Alpenstadt die Verleihung des Mozart Preises vornahmen. Ueber die Bedeutung des Mozart-Preises und über die Persönlichkeit des tirolischen Preisträgers berichteten [!] wir an anderer Stelle [„Innsbrucker Nachrichten“ vom 4. 6. 1938, Seite 12, siehe oben].
Um 18 Uhr fand sich im festlich geschmückten großen Saal des Mozarteums eine große Menge von Ehrengästen ein, die der Verleihungsfeier des Mozart-Preises beiwohnten. Die Feier wurde eingeleitet durch ein Lied der Sängervereinigung „Die Wolkensteiner“, die unter der Stabführung Arthur [!] Kanetscheiders das „Mailied“ Oswald von Wolkensteins in der Bearbeitung von Josef Pöll sang. Dann nahm Professor Dr. von Klebelsberg – Innsbruck – das Wort, um im Rahmen des Kuratoriums der Goethe-Stiftung und der Rektoren der Universitäten Graz und Innsbruck die Gäste auf das herzlichste zu begrüßen.
Professor Dr. von Klebelsberg betonte, daß die Mozartstadt Salzburg zur Stätte der Verleihung aus dem Grunde gewählt worden sei, weil sie seit ältesten Zeiten ein Wahrzeichen deutschen Geistes und deutscher Kunst der Ostmark war und ist. Im Namen der Stadt und des Landes Salzburg entbot Dr. Reiter in Vertretung des Gauleiters Rainer die herzlichsten Willkommgrüße und sprach den Dank an das Kuratorium aus, daß Salzburg zum Tagungsort gewählt worden sei. Die nationalsozialistische Staatsführung betrachte es als eine ihrer hauptsächlichsten Pflichten, gerade die volksverbundene Kunst und deren Träger zu ehren und in jeder Hinsicht zu fördern. Generalintendant Schneiderhahn begrüßte die Gäste in Vertretung der Stiftung des Mozarteums und wies auf die bedeutsame kulturelle Aufgabe und Leistung des Mozarteums hin, das schon seit vielen Jahrzehnten mit Erfolg bemüht ist, das Verständnis und den Sinn für die deutsche Kunst, deutsche Musik, deutsche Kultur in der ganzen Welt zu verbreiten.
Nun betrat der Literaturhistoriker der Universität Graz, Professor Dr. Pohlheim, das Podium und sprach namens des Rektors, der am Erscheinen verhindert war, die besten Glückwünsche an die Preisträger aus. Anschließend hielt Professor Dr. Pohlheim einen geistvollen einführenden Vortrag über die Persönlichkeit und Dichtung des Preisträgers Franz Rabl, der, als Sudetendeutscher geboren, in der Steiermark lebt und schafft. An der hand verschiedener Beispiele aus seinen Dichtungen kennzeichnete der Redner die Gestalten dieses tief im Volkstum verwachsenen Poeten, der in unerschütterlicher Wahrheitstreue nur seiner inneren Berufung folgt und unvergängliche Meisterwerke alpenländischer Dichtung geschaffen hat.
Dem zweiten Preisträger, unserem Landsmann Dr. h. c. Pöll, widmete Rektor magnificus der Innsbrucker Universität, Professor Dr. Steinacker, ebenfalls eine ausführliche, von herzlicher Wärme und tiefem Verständnis getragene Würdigung. Josef Pöll ist mit drei Dingen umgegangen und tief mit ihnen verwurzelt und verwachsen: mit Kindern, mit Blumen und mit Liedern. Sein Wesen hat sich in dreifacher Prägung ausgesprochen als Lehrer, Künstler und als Forscher, und so hat er seiner Heimat und dem ganzen deutschen Volk eine Fülle von Liedern geschenkt, die zum unveräußerlichen Gut unseres Volk[s]tums gehören. Der Rektor erinnerte weiters an die denkwürdige Ehrenpromotion Doktor Pölls im Frühjahr 1934 an der Innsbrucker Universität, die damals während der Systemzeit als „Brutherd des Nationalsozialismus“ galt, an der aber an jenem Tage sowohl der damalige Rektor Professor Dr. Klebelsberg wie auch der Promotor Professor Dr. Sperlich, der übrigens auch an der Salzburger Feier persönlich teilnahm, mannhafte Worte des deutschen Bekenntnisses der Innsbrucker Alpenuniversität gefunden haben.
Nun sprachen die beiden Preisträger ihren Dank aus. Franz Rabl sprach in tief zu Herzen gehenden, männlich scharf geprägten Worten von seiner inneren Berufung; er habe seine Waffe sich nicht selbst geschaffen, sondern sie nur empfangen und sich nur in ihrem Gebrauch geübt und sie rein und scharf erhalten. Er werde, wenn sein Werk vollendet sei, diese Waffe an den nächsten Berufenen weitergeben, der sie noch besser und wirkungsvoller zum Wohle unseres Volkes gebrauchen und sie ebenso rein und scharf halten möge.
Professor Dr. Josef Pöll sprach in seiner herzgewinnenden Weise von dem Urquell seiner Lieder, von seiner Mutter, der er eigentlich den Ehrenkranz, der ihm heute verliehen wurde, aufs Grab legen möchte, vom Zillertal, seiner Heimat, dem geliebten Tirol, von Südtirol, von den Liedern des Wolkensteiners und von den eigenen Volksliedern erzählte der Dichterkomponist in so schlichten ergreifenden Worten, daß er alle Herzen seiner Zuhörer gewann.
Es folgte nun ein Liedvortrag der Wolkensteiner, die das „Lenzlied“ von Oswald von Wolkenstein sangen. Dann las Franz Rabl einige unveröffentlichte Gedichte.
Den Schluß der Feier bildeten einige gute Pöll-Lieder, gesungen von den „Wolkensteinern“ unter der Stabführung Josef Pölls. Besonders diese Darbietung löste im Mozarteumsaal begeisterten Jubel aus, der immer wieder zu Zugaben zwang. Nach einer kurzen Pause fanden sich die Preisträger mit den Ehrengästen im Hotel „Münchner Hof“ zu einem gemeinsamen Abendessen ein, das in seinem gemütlichen Verlauf die herzliche Beziehung zwischen Tirol, Salzburg und Steiermark auf dem Gebete der Volkstumspflege befestigte.
Hommage an Josef Pöll in den Tiroler Heimatblättern 1940, Seite 130-139,
mit Beiträgen von Rudolf Sinwel, Adolf Sperlich und Artur Kanetscheider