Josef Eduard Ploner (1894-1955)
Josef Eduard Ploner wirkte in der Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten in vielfacher Weise als treibende Kraft. Er war ein überaus unternehmender Charakter und hat sich mit einer Vielzahl von Ideen und Projekten an der Verwirklichung des Vorhabens beteiligt, durch den Zusammenschluss aller wichtigen Tiroler Komponisten der damaligen Zeit mehr Einfluss in der kulturellen Öffentlichkeit zu erreichen. Er besaß ein dynamisches Wesen, daher ist es geradezu folgerichtig, dass er sich auch in das neue Zeitalter des Nationalsozialismus engagiert einbrachte. Ploner hatte laut einer Notiz in Emil Berlandas Autobiographie schon in der Verbotszeit 1937 zusammen mit Karl Senn den Eid auf Hitler abgelegt. Im Unterschied zu Senn, der sich nach 1943 enttäuscht in die innere Emigration begab und sich aus dem Kulturleben völlig zurückzog (Senns letzter von ihm verfasster Artikel über ein Konzert erschien am 8. Juli 1943 in den Innsbrucker Nachrichten) ist Ploner bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein treuer Gefährte seiner Überzeugung geblieben. Ploners Weltsicht stand in vielen Bereichen völlig mit der Ideologie des Nationalsozialismus im Einklang. Von daher war er sicher ein überzeugter und engagierter Befürworter der damals neuen politischen Gegenwart in Tirol.
Auf Antrag vom 28. Mai 1938 wurde Ploner mit Wirkung zum 1. Mai 1938 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 6.360.225, laut Fred K. Prieberg, Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945, CD-ROM, 2. Edition, Selbstverlag, Auprès de Zombry 2009, Artikel "Ploner", Seite P 5656).
Wie es Ploners Naturell entsprach, hat er sich schon unmittelbar nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich mit einem programmatischen Beitrag, der am 27. April 1938 in der Deutschen Volkszeitung Innsbruck auf Seite 6 erschien, als liniengetreuer und für den kulturellen Aufbau verfügbarer Mitarbeiter öffentlich erklärt. Seine Ausführungen lauteten:
Weltanschauung und Tonkunst
Zum Wirken des "Innsbrucker Kammerchores"
Jede echte und wahre Kunst ist weltanschaulich bedingt. Weltanschauungen gründen sich nicht nur auf das Denken und die Vernunft, sondern auch auf das Gefühl. Dieses ist wieder in einem besonderen Maße rassisch bedingt. Von allen Kunstarten ist die Tonkunst die blutbedingteste. Wenn Politik werdende Geschichte ist und Geschichte letzten Endes die durch die Politik in die Tat umgesetzte Weltanschauung, so stehen auch die echte und wahre Kunst als aus einer Weltanschauung geboren mit der Geschichte in ständiger Wechselwirkung, d. h., die Geschichte als tatgewordene Weltanschauung bedingt die Kunst und nicht umgekehrt. Die demokratisch-liberalische Formel, daß die Kunst mit der Politik in keinem Zusammenhang stehe oder zu stehen habe, ist genau dieselbe Heuchelei und Tatsachenverdrehung wie die Formel von der "absoluten Musik" an sich: denn Musik für sich allein gibt es in der Auswirkung auf die Menschheit ebenso wenig, als [es] eine Kunst, eine Weltanschauung, eine Politik, eine Geschichte für sich selbst gibt. Diese Tatsachen stehen auf dem Boden der Naturgesetze und damit auf dem gottgeschaffenen Grundsatz von "Blut und Boden", da ja auch die Naturgesetze göttlichen Ursprungs sind. Die blutleeren und naturwidrigen Formeln der demokratisch-liberalistischen Zeit stammen alle von Juden oder Judenknechten. In der Tonkunst schaffte besonders die vom einst allmächtigen Wiener Musikpapst Eduard Hanslick geschaffene Formel der "absoluten Musik" also einer Musik um ihrer selbst willen viel Verwirrung. ("Vom musikalisch Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Aesthetik der Tonkunst." Erschienen 1854.) Hand in Hand damit ging dann die Vernebelungslehre "keine Politik in der Kunst"! Somit leisteten alle diese Verdrehungen und Unwahrheiten der aus dem Judenblute stammenden demokratisch-liberalistischen Weltanschauung die zugedachten Handlangerdienste, womit also auf die scheinheiligste Weise gerade die Kunst für die Politik ausgenützt werden konnte. Daß der deutsche Mensch in seinem Fühlen, Denken und Handeln sich nun wieder von diesen trugvollen Lehren befreit und zu seinem artgemäßen Leben und seiner Kultur zurückgefunden hat, verdankt er der Tat Adolf Hitlers. Diese Befreiung verlangt als Dankabstattung die letzte Hingabe von jedem volksbewußten Deutschen innerhalb seines Wirkungskreises; von dem musikalisch begabten und tätigen Volksgenossen daher sein bestes Wirken im Dienste der nationalsozialistischen Weltanschauung.
Der "Innsbrucker Kammerchor" hat seit seiner Gründung immer volksverbundenen Zielen gedient. Sein Eintreten für die alten deutschen Meister in den Nachkriegsjahren war schließlich nichts anderes als ein kulturelles Kämpfen gegen die verschiedensten jüdischen Ismen (Atonalismus, Internationalismus, Dadaismus, Bolschewismus, Primitivismus, Jazz-Bandismus und wie sie alle hießen und im geheimen auch bei uns noch heißen). Das bewußte Sichhinwenden zu einer immer planmäßigeren Pflege der zeitgenössischen und heimischen Tonkunst verschiedener Zeiten geschah aus der Erkenntnis der alleinigen Wertigkeit der nationalsozialistischen Weltanschauung. Mit treuer Hingabe und vielen Opfern wurde für diese Zielsetzung gearbeitet. Die Zeiten der Drosselung und Knebelung sind nun gottlob vorbei. Nun will sich der "Kammerchor" mit neuer Tatkraft der Erreichung seines Zieles widmen und will seine durch Abwanderung und Flucht gelichteten Reihen auffüllen, um damit auf seinem Gebiet mitzuhelfen an der seelischen Untermauerung unseres Volkes. Er will mit erneuter Arbeitsfreude das gemischtchörige Musikgut weiterpflegen, eingedenk der Tatsache, daß auch die Kunst der Weltanschauung zu dienen hat, den: "Kein Volk lebt länger als die Dokumente seiner Kultur." Um dieses Wort Hitlers auch für unsere Zeit wahr machen zu können, richtet der Kammerchor an alle kulturell verantwortungsbewußten und sangeskundigen Volksgenossen die Aufforderung zur ernsten und freudigen Mitarbeit, damit schon der für den Sommer geplanten Werbefahrt ins Altreich ein voller Erfolg beschieden sei.
Die Singabende finden derzeit sowohl für Frauen- als auch für Männerstimmen jeden Donnerstag ab 20 Uhr im Zimmer 18 des Musikvereinsgebäudes statt. Neuanmeldungen können dort und außer dieser Zeit bei den Chormitgliedern gemacht werden.
Unter dem Vorwand der Werbung von Chormitgliedern bringt Ploner sein kulturpolitisches Manifest in die Öffentlichkeit, das vor allem den Zweck verfolgt haben mag, sich für eine aktive Rolle im Kulturleben anzubieten. Ploner war ja bereits 1930 wegen seines zunehmenden Gehörleidens vom Schuldienst als Lehrer suspendiert worden und musste fortan seinen Lebensunterhalt im Rechnungsamt der Tiroler Landesregierung verdienen (laut Schreiben des Amtes der Landesregierung von Tirol - Präsidium, Zl. 476/13/prs bei der Abteilung IX a ab 12. 12. 1930), eine für einen Künstler höchst unbefriedigende Tätigkeit. In der NS-Zeit ist es ihm aber gelungen, sich unter anderem als Musiklehrer an der Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck wieder in seinem ureigensten Fach zu betätigen.
Christian Wolf hat in seiner Innsbrucker Dissertation Musikerziehung unterm Hakenkreuz. Die Rolle der Musik am Beispiel der Oberschulen im Gau Tirol-Vorarlberg (= Innsbrucker Hochschulschriften Serie A: Musikpädagogik, hrsg. v. Josef Sulz, Band 3), Anif/Salzburg 1998, auf Seite 268 ein Interview mit Wenzel Josef Meindl wiedergegeben, der damals als junger Lehrer an der Lehrerbildungsanstalt unterrichtete. Über Josef Eduard Ploner äußert sich Meindl wie folgt, laut Wolf: "Ploner war während der Kriegszeit an der Lehrerbildungsanstalt, gemeinsam mit Arthur [sic] Kanetscheider. Beide waren Chormeister beim Deutschen Männergesangsverein und liberal eingestellt. Und dadurch sind sie als Musiklehrer hereingekommen. Ich habe beide gut gekannt. Sie waren aber musikalisch mehr Musikethnologen und haben sich besonders mit Volksliedbearbeitungen abgegeben. Es gibt z. B. über 300 Volksliedbearbeitungen von Kanetscheider." (1)
Dr. Michael Wedekind vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien hat im Auftrag der Tiroler Landesregierung im Tiroler Landesarchiv Innsbruck Recherchen u. a. zu Josef Eduard Ploner durchgeführt. Das Ergebnis seiner diesbezüglichen Forschungen gründet sich auf den Personalakt Josef Ploner im Tiroler Landesarchiv (Position L[andes]S[chul]R[at] 1086: Ploner, Josef), der in allen einschlägigen Veröffentlichungen bisher ungenügend berücksichtigt worden ist. Der Bericht von Dr. Wedekind folgt hier im Wortlaut:
Von ihrer Gründung 1920 bis zu ihren katastrophalen Landtagswahlniederlagen 1932 war Josef Ploner (1894-1955) langjähriges Mitglied der auf den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich ausgerichteten antisemitischen Großdeutschen Volkspartei,(2) die sich wesentlich auf die österreichische Beamten-, insbesondere Lehrerschaft stützte. Sie vertrat neben deutschnationalen, antiliberalen, antimarxistischen, antiklerikalen und volksgemeinschaftsideologischen Positionen einen rasseideologisch begründeten Antisemitismus und verfolgte die Rückdrängung eines vermeintlich dominierenden jüdischen Einflusses auf Politik, Wirtschaft und Kultur. Die hierin zugleich umschlossenen weltanschaulichen Grundpositionen Ploners erfuhren zu Beginn der 1930er Jahre offenkundig eine Radikalisierung: Am 17. Mai 1933, wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Deutschen Reich, trat er der NSDAP bei, die sich als radikale Alternative zur weithin bürgerlichen Großdeutschen Volkspartei anbot und diese entscheidend auszuhöhlen vermochte.
Unter dem autoritären Ständestaat , in dem Ploner zwischen Dezember 1936 und März 1938 gewöhnliches Zwangsmitglied der Vaterländischen Front wurde, beantragte er im Mai 1937 neuerlich seine Aufnahme in die nunmehr illegale NSDAP. Seine geheime Vereidigung erfolgte durch den Innsbrucker Beauftragten der deutschen Reichskulturkammer, Siegfried Ostheimer. Die seither in der Illegalität aufgenommene Funktion als beeidet[er] Schulungsleiter der [Tiroler] Fachschaft der Komponisten (3) innerhalb der Reichsmusikkammer (Teilorganisation der Reichskulturkammer) verhalf Ploner im Mai 1939, ein Jahr nach seiner neuerlichen Aufnahme in die NSDAP (Mitgliedsnummer 6.360.225), zur Anerkennung als Alter Kämpfer .
In der Nachfolge des österreichischen Anschlusses trat Ploner aus der Katholischen Kirche aus und wurde bis spätestens Mitte 1939 Mitglied zahlreicher NS-Gliederungen und Organisationen (Reichskulturkammer, Deutscher Sängerbund, Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, Reichsluftschutzbund, Reichskolonialbund, Reichsbund Deutscher Beamter und Nationalsozialistischer Lehrerbund, in dem sich Ploner als Redner und Künstler aktiv engagierte). Wie im Falle der Reichsmusikkammer/Fachschaft der Komponisten, war man sich dort seiner parteikonformen weltanschaulichen Einstellung ebenso so sicher wie der öffentlichen Tiefenwirkung (4) seiner kulturpolitischen Aktivitäten.
Offensichtlich erfreute sich Ploner überdies der Gunst Gauleiter Franz Hofers: Der Tiroler Regierungspräsident Hans Reinhard Koch als Stellvertreter Hofers auf dem staatlichen Sektor beabsichtigte, den von Ploner vorgetragenen Versetzungswünschen, auch im Hinblick auf sein musikalisches Schaffen, in jeder möglichen Weise entgegen[zu]kommen ,(5) und erwog, ihn mit einer Säuberung des Musikrepertoires der Tiroler Standschützenkapellen zu beauftragen.(6) Auf Veranlassung der Gauleiter-Kanzlei erhielt Ploner seit Mai 1941 eine monatliche Apanage in Höhe von etwa 40 % seiner zum selben Zeitpunkt durch Berufung ins Beamtenverhältnis und Beförderung zum Oberschullehrer angehobenen Monatsbezüge.
Die bereits 1939 von Hofer im Zuge der Aktion für alte Kämpfer angestrebte Verbesserung der beruflichen Position Ploners hatte indes im Dienstwege zunächst erhebliche Verzögerung erfahren und fand erst Mitte 1941 ihre Erledigung. Ploner wurde nunmehr von der Abteilung IX der Reichsstatthalterei (Regierungsoberkasse/Buchhalterei V) auf eine Planstelle in der Innsbrucker Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt versetzt, von dieser jedoch beurlaubt und der Abteilung II der Reichsstatthalterei (Erziehung, Volksbildung, Kultur- und Gemeinschaftspflege) zugewiesen. Hier war seine Betrauung mit Fragen des Musikunterrichts an den Schulen, der Musikschulen und der allgemeinen Musikpflege (7) beabsichtigt; Ploner gab 1947 bei einer Einvernahme durch das Amt des Landesschulrates für Tirol an, dem Innsbrucker Volksmusik- [recte: Volkslied-] Archiv zugeteilt worden zu sein.(8)
Auf sein stockendes Beförderungsverfahren hat Ploner, der auf Grund seiner nationalsozialistischen Überzeugungen vor 1938 auf einen Versetzungsantrag bewusst verzichtet haben will, durch Ansuchen bei Gauleiter Hofer und Regierungspräsident Koch im November bzw. Dezember 1940 Einfluss zu nehmen versucht: Unter ideologischem Rekurs auf Alfred Rosenberg bat er in einem Schreiben an Hofer um Versetzung auf eine ihm adäquate Dienststellung im Innsbrucker Musikschuldienst oder als Redner über kulturpolitische Fragen , um unserm Volke in der seelischen Untermauerung seiner Lebensführung (Rosenberg) besser dienen zu können .(9) Er verwies zugleich u. a. auf seine beabsichtigte musikwissenschaftliche Untersuchung zum Tiroler Volkslied, das er auch hinsichtlich des Einwirkens von Rasseeinflüssen zu analysieren und im Übrigen von seinen kirchlichen Einflüssen zu reinigen (10) beabsichtigte.
Ploner wurde 1947 nach dem Nationalsozialistengesetz gemäß 17 (3) als Minderbelasteter eingestuft. Ein Vorstoß des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht vom März 1954, Ploner auf Grund seines tonschöpferischen Wirkens (11) den Professorentitel zuzuerkennen, wurde offenbar fallengelassen und scheiterte soweit aus dem Personalakt des Landeschulrates ersichtlich anders als im Falle Kanetscheider an Ploners krankheitsbedingt knapper Verwendung im Schuldienst.
Musiklager der Hitler-Jugend am Achensee, Innsbrucker Nachrichten vom 11.9.1940
Mit dem oben zitierten Manifest in der Deutschen Volkszeitung Innsbruck vom 27. April 1938 brachte Ploner insbesondere seine Vorstellungen von Status und Funktion des Künstlers in der Gesellschaft zum Ausdruck. Für ihn ist der schaffende Künstler nicht a priori ein Diener der Kunst, sondern sein Wirken ist einzubringen in das aktuelle Kulturleben. Diese Kunst hat verständlich zu sein, ihr Inhalt und Ausdruck sind auf allgemeine Akzeptanz ausgerichtet.
Absolute Musik bedeutet bei Ploner die Beschränkung des Komponisten auf musikimmanenten Fortschritt, ohne Bezugnahme auf die Gesellschaft, wie dies etwa bei progressiven Komponisten der Fall ist, die musikalisches Neuland suchen. Für Ploners Sicht des Künstlertums ist es aber grundsätzlich, dass der Komponist nicht danach trachtet, sich selbst um der Kunst Willen zu verwirklichen, sondern dass er sein künstlerisches Tun völlig in den Dienst seiner ihn umgebenden kulturellen Aura stellt. Folglich war es für Ploner ein Selbstverständnis, sich am Kulturleben konsequent und engagiert zu beteiligen.
Neben dieser äußerlichen Zweckwidmung von Kunst war es für Ploners Kunstverständnis substanziell, dass musikimmanent der Gegenstand und der Inhalt seiner Produktion vorrangig dem Heimatlichen, Patriotischen gewidmet sein sollte. Auch dieses Faktum folgert sich aus seiner Maxime vom Künstler und seiner Stellung in der Gesellschaft, nämlich dass Kunst nicht der Individualität, sondern der Allgemeinheit verpflichtet sein müsse. Tirol war immer schon sein vorherrschendes Thema gewesen, und dies ist es auch im Zeitalter des Nationalsozialismus geblieben.
Seine Hauptwerke der damaligen Zeit, wie die Bühnenmusik zu Josef Wenters Drama Michel Gaismair op. 105 (1940), die Kantate Das Land im Gebirge op. 109 (1941) oder die symphonische Dichtung Das Tiroler Jahr op. 131 (1943/44) behandeln ausschließlich tirolische Inhalte. Der an sich patriotisch ausgerichtete Gegenstand stand natürlich in keinem Widerspruch zur Ideologie der Nationalsozialisten, sondern wurde ganz im Gegenteil als Teil der eigenen Kultursicht gefördert und teilweise auch vereinnahmt. So wurde etwa der Tiroler Bauernführer Michael Gaismair (1490 Tschöfs bei Sterzing - Padua 1532) geradezu zu einer Kultfigur der Tiroler Nationalsozialisten, der durch seinen trotzigen Widerstand gegen die Obrigkeit von Adel und Klerus ein Spiegelbild der eigenen Kampfzeit symbolisieren konnte. Gauleiter Franz Hofer charakterisierte Michael Gaismair in den Innsbrucker Nachrichten vom 7. Mai 1940 auf Seite 5 folgendermaßen: "Michael Gaismayr, der Südtiroler Bauernführer, hat gegen die zu seiner Zeit beabsichtigte Zerreißung Deutschlands in ein protestantisches und ein katholisches Reich gekämpft und den Grundsatz verfochten: Es gibt nur ein Deutschland." Ganz allgemein haben die Nationalsozialisten Gaismairs Tiroler Landesordnung bewundert, in der sich schon vieles von ihrer Ideologie vorgedacht fand. Abgesehen von der prinzipiellen ideologischen Gebrauchsfähigkeit heimatlicher Stoffwahl haben aber diese Inhalte eine ebensolche neutrale Qualität, die es ermöglichte, sie nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso, ohne jegliche weltanschauliche Belastung, wieder aufzuführen und durch Rundfunkeinspielungen zu dokumentieren. Wie wertungsfrei etwa das Vorspiel zu Michel Gaismair auch bereits während des Nationalsozialismus angesehen werden konnte, zeigt das Faktum, dass dieses Stück 1942 in einem Konzert der Wiener Konzerthausgesellschaft neben Werken von Edvard Grieg, Gaetano Donizetti, Giuseppe Verdi und Franz Schubert erklang.
Innsbrucker Nachrichten vom 10.5.1939
Ploners antijudaistische Ausfälle im oben zitierten Manifest von 1938 (Deutsche Volkszeitung Innsbruck, 27. April 1938) entsprechen weitgehend der üblen Phraseologie seiner Zeit. Inwieweit Ploners offenkundige Antipathie den Juden gegenüber sich zu gehässigem und fundamentalem rassischem Antisemitismus gesteigert hat und als tatsächlich solcher zu bewerten ist, ist Angelegenheit der Beurteilung von Spezialwissenschaftlern.
Solch verbalen Entgleisungen Ploners stehen auf der anderen Seite Fakten gegenüber, die seinen radikalen Antijudaismus etwas relativieren, zum Beispiel sein Zusammenwirken mit Prof. Wilhelm Fischer, der Ordinarius für Musikwissenschaft an der Innsbrucker Universität und jüdischer Abstammung war, 1927 im Rahmen der Tiroler Erstaufführung von Leonhard Lechners Johannespassion oder 1938 bei der Wiederentdeckung von Kompositionen Paul Hofhaimers (12), ferner das Faktum, dass Ploner nach 1945 seinen Schüler Peter Suitner über zwei Jahre nach dem Theorielehrbuch des jüdischen Autors Salomon Jadasohn (Lehrbuch der Harmonie, Leipzig 1920) unterrichtete (13), aber auch der Hinweis von Herbert Buzas im Artikel "Mit Gilbert Ploner in der Plonergasse" in der Tiroler Tageszeitung vom 18. Januar 1975, Seite 8, dass Ploner in Tirol als erster die Bedeutung Arnold Schönbergs erkannt habe und dafür von manchen Besserwissern bespöttelt wurde. (14) Ploners Antijudaismus war vermutlich vor allem kulturell bedingt und wandte sich besonders gegen alles "Fremde" und gegen alle Neuerungen, die er offensichtlich als Bedrohung empfand.
Zum Mentalitätsklima in Ploners Jugend, das seine Weltanschauung naturgemäß fundamental formte, sei insbesondere auf die großartige Innsbrucker Dissertation von David Schnaiter mit dem Titel "Beten für den Krieg?" Bruder Willram und der "Heilige Kampf" Tirols aus dem Jahr 2002 verwiesen. Ein kurzes Zitat aus dieser Studie, die in allen Belangen ein eminentes Vorbild repräsentiert, wie man mit einem extrem emotional befrachteten Sachverhalt exemplarisch verantwortungsvoll umgeht, vermag die Situation damals vor Augen führen:
"Die Zahl der in Tirol lebenden Juden bei ihrem Höchststand Anfang des 20. Jahrhunderts belief sich auf exakt 1.624 Personen, das entspricht nicht einmal 0, 2% (!) der Nord- und Osttiroler Bevölkerung dieser Zeit. Dieses Kuriosum des Antisemitismus ohne Juden" erklärt sich durch das Paradoxon, daß sich der Tiroler Antijudaismus nicht hauptsächlich gegen die wenigen Juden in Tirol und auch nicht gegen die Wiener Juden richtete, sondern gegen die hereindrängenden Neuerungen und Veränderungen, das Fremde" im allgemeinen. Der extreme Antijudaismus in Tirol in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist als ein Symptom eines unter der Oberfläche wuchernden Irrationalismus zu betrachten und somit nichts anderes als eine ausgeprägte allgemeine Xenophobie gegen das verändernde Neue [...]" (S. 161). "Der Jude verkörperte das Über-Feindbild, das als Urheber und Sinnbild, als idealer Überbau und als Transportmittel für sämtliche anderen Feindbilder diente: alle Zeitirrtümer, Zivilisationskrankheiten und ökonomischen Krisen wie Liberalismus, Kapitalismus, Marxismus (und auch Nationalismus), Sittenverfall und kultureller Wandel, wie Atheismus und (antikatholische) Religionsfeindlichkeit, wie Verschuldung, Agrarkrise und Steuerbelastung wurden auf die verschwörerischen Kräfte des internationalen Judentums zurückgeführt [...]" (S. 162).
KURZBIOGRAPHIE VON JOSEF EDUARD PLONER 1938
in: Wissenschaft und Kunst in der deutschen Ostmark,
Wien-Graz-Leipzig: Verlag für völkisches Schrifttum 1938, Sp. 1091 f., mit Fotoporträt
Ploner Josef Eduard,
Landesrechnungsbeamter der Tiroler Landesregierung, Komponist, Mitglied der "Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten", des österreichischen Komponistenbundes u. a., wurde am 4. Februar 1894 in Sterzing in Südtirol geboren. Er besuchte die Lehrerbildungsanstalt und maturierte 1913. Von 1910 bis 1926 betrieb er Musikstudien bei Josef Pembaur senior, Josef Schwammel, Emil Schennich, Dr. Ludwig Kaiser (Musiktheorie, Klavier und Orgel) sowie Gesangsstudien bei Albert Greiner. Ab 1913 als Lehrer in Südtirol tätig, kam er 1914 ins Unterinntal, wo er auch als Organist wirkte. Im Kriege diente er als Kadett-Aspirant bei den Tiroler Landesschützen in Südtirol, Istrien und Albanien und wurde mit der Silbernen und Bronzenen Tapferkeits-Medaille, dem Karl-Truppen-Kreuz und der Verwundeten-Medaille ausgezeichnet.
Unter seinen Kompositionen finden sich etwa 50 Lieder, 130 Chöre für Männer-, Frauen- und gemischten Chor, Kammermusik- und oratorische Werke ("Ostermusik", "Zwischen Zeit und Ewigkeit", "Der grimmig Tod"), Orchesterwerke "Musik der Landschaft", "Volk und Vaterland", "Heldische Musik", "Trauernd Land", Orgelwerke (Variationen über den Choral "Aus tiefer Not", "Heroische Partitur", "Heldengedenken") und viele andere. Ein Großteil dieser Werke wurde mit größten Erfolgen in Oesterreich, Deutschland, der Schweiz und der Tschechoslowakei aufgeführt. Sie sind zumeist bei großen deutschen Musikverlagen erschienen. Ploner ist seit 1921 verheiratet und hat zwei Kinder. Wohnung: Innsbruck, Fürstenweg 2 Wilten.
AUFFÜHRUNGEN VON KOMPOSITIONEN JOSEF EDUARD PLONERS
(19. MAI 1938 - 12. JULI 1944),
VERÖFFENTLICHUNGEN VON IHM UND VERZEICHNIS SEINER WERKE
WÄHREND DER NS-ZEIT