Karl Senn (1878-1964)

Karl Senn hatte seine politische Heimat im Austrofaschismus, wo er sich kulturell exponiert engagierte. Beispiele dafür sind seine vielen Liedbeiträge für die Stunde der Heimat, die laut Kurt von Schuschniggs Vorwort der zweiten Folge folgende Zweckbestimmung hatte:

Das vaterländische Brevier ist endlich ein Liederbuch, das die österreichisches Jugend wünscht und das dem Geist des neuen Österreich entspricht. Heimatlieder aus allen Gauen unserer deutschen Ostmark, Lieder, die im österreichischen Volke wurzeln, sind darin gesammelt. Möge das Brevier größte Verbreitung finden und all die schönen Lieder, die unser herrliches Vaterland rühmen, von der gesamten Jugend des neuen Österreich mit Begeisterung gesungen werden. Wien, am 8. Mai 1934.

Bereits ein Jahr später erschien von Walter Senn, dem Sohn des Komponisten, die Sammlung Österreichisches Liederbuch. Volk und Vaterland, Innsbruck [etc.] 1935.

Am Liederheft Die Stunde der Heimat (2. Folge, 1934) beteiligten sich auch Josef Eduard Ploner mit einem geistlichen Lied Michaele (Hl. Michael, Text von Theowill Übelacker) und Karl Koch mit einem Ave Maria (Text von Gaudenz Koch OFMCap) sowie Artur Kanetscheider mit einem Lied für Gitarre und Gesang Skifahrt durch die Dämmerung (Gedicht von Hubert Mumelter).

Archiv Institut für Tiroler Musikforschung


Die dritte Folge der Stunde der Heimat (o. J./ca. 1935), dem "Führer des Vaterlandes" Kurt Schuschnigg gewidmet, brachte Lieder für Gitarre und Gesang nach Gedichten von Anton Renk Die Hutsch (Karl Senn), Josef Georg Oberkofler (Wir Jungen, Karl Senn), Karl Dallago (Lied des Wegmachers, Artur Kanetscheider) und Hermann Hesse (Ski-Rast, Karl Senn). Am Beginn dieses Hefts steht folgende Widmung, wohl verfasst von den Herausgebern Simon Moser und Karl Senn "im Einvernehmen mit dem Bundeskommissär für Heimatdienst von der Arbeitsgemeinschaft für Jung-Österreich :

Dienst an Volk und Heimat! Das war die Losung, unter der die Arbeitsgemeinschaft für "Jung-Österreich" die Hefte "Stunde der Heimat" herausgab.
Das erste Heft wurde eingeleitet von den Worten unseres Herrn Bundeskanzlers, der ihm Glück auf seinem Weg wünschte. Dieser Glückwunsch ging in Erfüllung. Heft I und II sind zu vielen Tausenden in den Händen treuer Österreicher.
Nun reichen wir das dritte Heft unseren Landsleuten hin. In froher Dankespflicht sei es dem Wahrer und Förderer edelster deutscher Kultur in Österreich, sei es dem Führer unseres Vaterlandes, Dr. Kurt Schuschnigg zugeeignet.



Die "vierte Folge widmete Karl Senn vorwiegend eigenen Liedbearbeitungen für Singstimme und Gitarre aus historischem Liedgut, so Liedern von Ulrich von Lichtenstein, Neidhart von Reuental, Oswald von Wolkenstein oder dem Mönch von Salzburg, ebenso historischen Volksweisen des 14. bis 16. Jahrhunderts.

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1932, 16. Mai - Innsbruck
Hofkirche, Stadttheater und andere Orte der Stadt

Tag Jungösterreichs
mit einem umfangreichen Programm und Musik von Karl Senn
veranstaltet von der
Reichsleitung der Ostmärkischen Sturmscharen und dem Tiroler Bauernbund


Archiv Institut für Tiroler Musikforschung


Programm

Die Ostmärkischen Sturmscharen
rufen hiemit jene werktätigen Freunde und Förderer
des katholischen Jungösterreichs, jene kampfesmutigen
Jungösterreicher
katholischer Art und Sitte, die im Kampfe um ein anderes
Österreich voranmarschieren wollen, auf zur Teilnahme am
"Tag Jungösterreichs"
veranstaltet von der Reichsleitung der Östmärkischen
Sturmscharen und dem Tiroler Jungbauernbund,
mit folgender Ordnung:

Am 16. Mai 1932 um 9 Uhr vormittags in der Hofkirche:
Am Grabe Andreas Hofers Ansprache des Reichskaplans Msgr. Dr. Kolb: "Für Herrgott und Heimat", anschließend heilige Messe.

10 Uhr vormittags im Innsbrucker Stadttheater:
Patriotische Kundgebung
1. "Auf unseren ewigen Bergen"
Gemischter Chor der Sängerschar des Bruder-Willram-Bundes [Chorleiter: Karl Senn]
"Wir wollen Männer", Sprechchor von Bruder Willram, Musik von Karl Senn
2. "Wenn wir schreiten", Schargesang

"Jungösterreichs Wille und Weg"
Rede des Reichsführers Bundesminister Dr. K. v. Schuschnigg
Heil'gem Kampf sind wir geweiht, Schargesang

3. Gemeinsames Treuebekenntnis, Sprechchor
Wille, wach auf!, Melodram, Musik von Karl Senn



Jungösterreichs Wille - Unser Schwurspruch

Zerschlagen das Reich und dahingerafft,
Vom Doppeladler umbraust;
Doch nicht zerschlagen ist unsere Kraft
Und nicht zertrümmert die Faust. (Kleiner Sprechchor)

Die Heimat hat Gott, die Heimat hat Brot,
Die Heimat gibt Freiheit und Recht.
Wir fordern das Brot, wir fordern den Gott
Und niemandes sind wir Knecht. (Großer Sprechchor)

Ihr toten Helden in Grabesruh,
Des sollt ihr Zeugen sein:
Wir Jungen, wir hämmern immerzu
Unserer Jugend die Zukunft ein. (Kleiner Sprechchor)

Die Heimat hat Gott, die Heimat hat Brot,
Die Heimat gibt Freiheit und Recht.
Wir fordern das Brot, wir fordern den Gott
Und niemandes sind wir Knecht. (Großer Sprechchor)

Die Pflugschar knirscht und der Hammer singt.
Wir säen, wir wollen die Saat.
Und was uns alle zusammenzwingt,
Ist die Heimat und nicht der Staat. (Kleiner Sprechchor)

Die Heimat hat Gott, die Heimat hat Brot,
Die Heimat gibt Freiheit und Recht.
Wir fordern das Brot, wir fordern den Gott
Und niemandes sind wir Knecht. (Wird von allen Teilnehmern mitgesprochen)



11 Uhr vormittags
Fest-Vorstellung
Erstaufführung des österr. Frontspieles "Auf der Feldwache VII", Musik von Karl Senn.
Dargestellt von der Spielschar des Bruder-Willram-Bundes unter der Leitung des Herrn Universitätslektors Dr. Schlismann-Brandt.

2 Uhr nachmittags im Großgasthof "Breinößl":
Beginn der Führerberatungen.
1.
Generalversammlung des Jungbauernbundes
Referent: Bundesminister Dr. Dollfuß.
2.
Reichsappell der Sturmscharen, Bekanntgabe des Manifestes
Kurze Referate hiezu: Landesrat Dr. Gamper, Dr. Graf Montjoye, Gauführer des Gaues Wien, Sekretär Seitlinger, Obmann des Luegerbundes.

In der Aussprache: Josef Steinkogler, Gauführer des Gaues Oberösterreich, Otto Wallig, Gauführer des Gaues Niederösterreich, die Vertreter des Tiroler Jungbauernbundes, der Tiroler Turnerschaft, des Wehrbundes, des katholischen Jungmänner-Verbandes Deutschlands, der Bayernwacht.
Schlußreferat: Bundesminister Dr. K. v. Schuschnigg

4 Uhr nachmittags sportliche Veranstaltungen: Wimpellauf zum Andreas-Hofer-Denkmal.

5 Uhr nachmittags Eröffnung des Bäuerlichen Volksbildungsheimes (Schloß Mentlberg, das neue Tagungsheim der katholischen Jugend).

Halb 6 Uhr abends Kameradschaftsfest auf dem Berg Isel. Sprecher Otto Steinegger.

7 Uhr abends Vaterländisches Gedenken vor dem Kaiserjägergrab, Angelobung der Sturmschärler.
Halb 8 Uhr abends Maiandacht, gehalten von Msgr. Bramböck vor der Kriegergedächtniskapelle am Berg Isel



Für Österreichs Ehre und Freiheit in Treue!
Für die Reichsleitung der Ostmärkischen Sturmscharen:
Dr. Klotz, stellvertr. Reichsführer
Gend.-Ober-Inspektor Kern - N[ational]-R[at] Msgr. Dr. Kolb, Reichskaplan
Direktor Dobin - Dr. Newesely
L[andes].-R[at] Dr. Gamper, Innsbruck - Msgr. Bramböck, Kufstein - Dr. Graf Montjoye, Wien
Otto Wallig, Zellerndorf, N.-Ö. - Othmar Seitlinger, Klagenfurt
Josef Steinkogler, Ebensee, O.-Ö.



[Programmexemplar vom 16. 5. 1932 im literarischen Nachlass von Karl Senn, geordnet und signiert von Walter Senn: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, Sign. FB 52638 ff., Nr. 459; Kopie im Archiv des Instituts für Tiroler Musikforschung]

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1938, 31. Jänner - Radiosendung in Innsbruck

Sendung bei der RAVAG (Radio Verkehrs AG)
mit ausschließlich Kompositionen von Karl Senn und einer Würdigung zu seinem 60. Geburtstag

Im Jahr 1938 feierte Karl Senn seinen 60. Geburtstag. Er war damals längst ein überregional anerkannter Komponist und so erschienen zahlreiche Beiträge in Zeitungen über Leben und Werk des Jubilars. Radio Innsbruck veranstaltete am 31. Jänner 1938 eine Sendung ihm zu Ehren, bei der neben den Sängern des Innsbrucker Stadttheaters, Madeleine Schusterschütz und Eugen Sardelic, auch Musikdirektor Fritz Weidlich am Klavier mitwirkte. Eine "Würdigung" verfasste Dr. Julius Reisp (Programmfalter zur Veranstaltung und Text der "Würdigung" finden sich im literarischen Nachlass von Karl Senn, wie oben, Nr. 53 bzw. 539). Dieser Text wurde auch im Tiroler Anzeiger vom 2. Februar 1938 und in Lebendiges Tirol (Beilage der Neuesten Zeitung) vom 5. Februar 1938 veröffentlicht.

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1938, 18. Februar - Radiosendung in Wien

Sendung bei der RAVAG (Radio Verkehrs AG)
mit ausschließlich Kompositionen von Karl Senn zu seinem 60. Geburtstag

Die Programmzeitung Radio Wien (14. Jg.) vom 11. Februar 1938 brachte auf Seite 2 (mit Fortsetzung auf Seite 18) den folgenden anonymen Artikel als Einführung zu einer Sendung am 18. Februar 1938 aus Anlass des 60. Geburtstags von Karl Senn. Auf dem Programm stand Der heimliche Garten. Eine Suite nach Gedichten von Peter Paul Althaus für Kammerorchester op. 92, mit den Wiener Symphonikern unter Anton Konrath. Die Gedichte zwischen den einzelnen Sätzen rezitierte Otto Löwe. Diese meisterhafte Komposition Karl Senns war 1937 im Münchner Rundfunk uraufgeführt worden.

Karl Senn (zum 60. Geburtstag)
Konzert am Freitag, 18. Februar [1938], 23.00 Uhr

Mehr denn je sind die Möglichkeiten, im Kunstleben zur Geltung zu kommen, nur in den großen Städten gegeben. Kein Wunder, wenn deshalb alle Begabungen nach Wirkungskreisen in den großen Musikzentren suchen. Deshalb verdienen jene Künstler besonderen Dank, die allen Lockungen zum Trotz abseits vom weltstädtischen Musikleben in den bescheidenen Verhältnissen der Heimat ihre Sendung zu erfüllen trachten. Eine solche Musikernatur ist der Tiroler Karl Senn, der am 31. Jänner sein 60. Lebensjahr vollendet hat. Er ist führwahr einer der treuesten Söhne des Tirolerlandes, denn von einem kurzen Wiener Aufenthalt abgesehen, weilte Senn immer in seiner Heimatstadt Innsbruck. Mit allen Fasern seines Herzens hängt er am heimatlichen Boden, wo er als Dirigent der Innsbrucker Liedertafel und des Chors der Universitätskirche ungemein verdienstlich gewirkt hat. Senn besuchte die Innsbrucker Universität und erwarb den Doktorgrad der Rechte, doch seine ganze freie Zeit gehörte der Musik. Von Josef Pembaur, dem Älteren, wurde er an der Schule des Innsbrucker Musikvereins zum Organisten und Komponisten ausgebildet.

Senn war als Beamter an einen Mann und Zeit erfordernden Pflichtenkreis gebunden und deshalb staunen wir über die Fülle seines kompositorischen Lebenswerkes. Es beläuft sich auf etwa hundert Werke und umfaßt alle Gebiete der Tonkunst, vom Lied über das kleine und große Chorwerk geistlicher und weltlicher Haltung bis zur Oper, vom Klavier- oder Orgelstück über die Kammermusik bis zu symphonischen Orchesterwerken. Viele seiner Kompositionen haben erfolgreiche Aufführungen zu verzeichnen. In seinen Jugendwerken macht sich noch der Einfluß Wagners geltend, später wirken die Neuromantik und die junge italienische Opernschule auf Senn ein, doch mit der Zeit schafft er sich die eigene ausdrucksvolle Tonsprache, deren hervorstechende Merkmale Ernst und Gemütstiefe sind. Darin spiegeln sich der Charakter der heimatlichen Landschaft wider und ein Tiroler Tonsetzer, Joseph Lechtaler, hat es einmal ausgesprochen, daß die Kunst Senns auf volles Verständnis bei jenen stoßen werde, die Volk und Landschaft Tirols kennen und lieben.

Zu den jüngsten Werken des Jubilars gehört "Der heimliche Garten", eine Suite für kleines Orchester nach Gedichten Peter Paul Althaus. Es sind sechs Stimmungsbilder Goldlack, Lilien, Blühender Kaktus, Welkende Feuerlilie, Moos und Sonnenblumen überschrieben , deren eigenartige Harmonik, durchsichtiger Orchestersatz und reizvolle Klangwirkungen mitunter impressionistisch anmuten; doch behält vor dem Spiel der Farben immer die Melodie den Vorrang.



Der Völkische Beobachter München vom 15. Februar 1938 enthält folgende Notiz:

Karl Senn 60 Jahre alt. Der Innsbrucker Komponist Prof. Dr. Karl Senn vollendete dieser Tage sein 60. Lebensjahr. Sein Hauptbetätigungsfeld sind große symphonische Orchesterwerke. Eine Reihe von Opern liegen vor. Darunter "Philippine Welser", komponiert zur Festfeier der 770-Jahr-Feier Innsbrucks. Senn hat über dreihundert Chöre und fast ebensoviele Lieder geschaffen.



Peter Marini, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten, hat Karl Senn zum 60. Geburtstag eine ausführliche Abhandlung in Lebendiges Tirol (Beilage der Neuesten Zeitung) in der Ausgabe vom 29. Jänner 1938 gewidmet. Der Titel: "Professor Dr. Karl Senn - ein Sechziger . Nach einleitenden grundsätzlichen Äußerungen musikphilosophischer und ästhetischer Art, die etwas verworren anmuten, kommt er zum eigentlichen Thema Karl Senn:

Und so sammelten sich unter Senns Führung die Tiroler Komponisten in einer Arbeitsgemeinschaft zwecks Erreichung klar umrissener Hochziele: Förderung der Pflege heimatlicher Musik, die mit dem "Tiroler Lied" der Nationalsängergesellschaften nichts zu schaffen hat; Kampf dem negativen Kunstschaffen insbesondere durch Schaffung aufbauender Musik. Das gegebene Beispiel zog, und trotz aller Schwierigkeiten schreitet man bereits in mehreren Bundesländern zur Gründung ähnlicher Organisationen; ein Verdienst das Senn und sein treuer Mitarbeiter Ploner voll und ganz sich zuschreiben dürfen.

Die zeitraubenden Organisationsarbeiten konnten Senns musikalisches Schaffen nicht beeinträchtigen. Durchblättert man aufmerksam Senns Schöpfungen, so fällt zunächst auf, daß der Komponist sein Werkmaterial fast zur Gänze aus seiner Heimat zusammenträgt. Unter den Bühnenwerken prangt "Philippine Welser". Es gibt keinen Tiroler Dichter von Rang und Klang, den nicht Senn mehrfach vertont hätte. Eine Bilderserie von Egger-Lienz bot den Vorwurf zur großen symphonischen Dichtung "1809". Tanzende Bauerndirnlein ließen das fünfsätzige, leichtbeschwingte, anmutige Orchesterwerk "Tiroler Reigen" erstehen. Senns Bearbeitungen mehrere hundert erstrecken sich fast ausschließlich auf heimatliches Musikgut, von Walther von der Vogelweide angefangen, über Leonhard Lechner, bis zu den in einsamen Alpennestern kümmerlich von den Dorfältesten in Erinnerung behaltenen Volksweisen, die ohne Dazutun Senns der Vergessenheit anheimgefallen wären.

Ganz zu Hause fühlt sich Senn in großangelegten Werken, die sein Temperament nicht in die Enge kleiner Formen zwingen, weshalb Senn naturgegeben mehr zu dramatischen als lyrischen Stoffen drängt. An Bühnenwerken liegen außer der genannten Oper vor: "Der Rattenfänger" als Lustspiel (Begeisterte Aufnahme in Innsbruck 1917 unter des Komponisten Leitung), das Singspiel "Hans Wurst", das Ballett "Pilgerfahrt der Liebe" (ein weiblicher Peer Gynt sucht seine Ergänzung). Besonders beachtenswert sind neben den Klavier- und Harfenkonzerten und Kammermusikwerken, die wie symphonische Dichtungen anmuten, die Franziskus-Kantate, ganz großzügig im Oratoriumsstil mit Verwendung eines Sprechers von der Kanzel, in welchem Werk "eine überlegene Führernatur der gesunden Sachlichkeit jede Subjektivität opfert", sowie die tonmalerisch gehaltene Passionskantate mit dem grandiosen Stellen "der mächtig donnernden Erde" und dem "Lachen des gaffenden und schwatzenden Judenvolkes".

An den liturgischen Gesängen kann eine musikalische Künstlernatur wie Karl Senn ebenso wenig vorübergehen wie Dichter, Maler und Bildhauer an biblischen Stoffen. Zudem reizt der Messetext, das schwerste Problem, das sich einem Tonkünstler bieten kann, durch Vertonung zu lösen. Senn versucht, das Erlösungsdrama jedesmal in immer neuen Formen, mit stets wechselnden Auffassungen musikalisch zu meistern. So kommt es, daß hier (Weihnachtsmesse) die "musica sacra" zu einem Idyll in einer Winterlandschaft wird, dort (Requiem) einem Fanal schauriger Mystik und schmerzdurchtränkten Grauens gleicht. Der Cäcilianismus hat wohl mit den Unzukömmlichkeiten ohne Grenzen in den Kirchen mehr oder weniger aufgeräumt, aber auch gleichzeitig die Entwicklung der Kirchenmusik ein halbes Jahrhundert lang gehemmt.

Senn gehört zu den ganz wenigen Auserwählten, die diesen Zweig kirchlicher Kunst rasch vorwärts zu treiben imstande wären, wenn endlich einmal von oben her dem seichten Kirchenromantizismus das verdiente Ende bereitet werden könnte und manchem nichtssagenden, kirchlich genehmigten Neutöner das Handwerk gelegt würde.

Nicht unerwähnt soll bleiben, daß Senn spezifisch tirolische Kunst wiederholt selbst über unsere Grenzmarken trug und stets, so oft er am Pulte erschien, als feinsinniger Dirigent überschwenglich gefeiert wurde.

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1938, 22. Februar - Innsbruck
Claudiasaal

Kompositionsabend zum 60. Geburtstag von Karl Senn
Veranstaltet von der Innsbrucker Urania

Bericht über das Konzert im Tiroler Anzeiger vom 24. Februar 1938
Am Schluss signiert "th

Die Innsbrucker Urania hatte seinerzeit [1933] für Josef Gasser [(1873-1957)] einen eigenen Abend veranstaltet und benützte nun die Gelegenheit des 60. Geburtstages Karl Senns, um auch diesen Meister die wohlverdiente Ehrung eines eigenen Kompositionsabends zu erweisen. Der Abend brachte Ausschnitte aus dem Lied- und Klavierschaffen Senns, die gewissen Züge seiner bemerkenswerten Eigenart deutlich erkennen ließen.

Senn geht in seinen besten Stücken eigene Wege. Deutlich empfand man dies aus der großen Klaviersonate op. 60, die sich als kraftvolles Zeugnis unbeirrbarer Künstlerschaft und wirkungsvoller Eigenart erweist. Senn ist Herr über alle Bestrebungen der zeitgenössischen Harmonik und ordnet dieses sowie die knappe, einprägsame Thematik dem einheitlichen gestaltenden Willen unter, der eine Schöpfung von fühlbarem Gehalt entwirft. Dem Meister ist es trotz "interessanter" Formungsmittel nicht um "interessante" (das Schlagwort der Modernen), sondern um lebensvolle, empfindungsdurchströmte Musik zu tun. Freilich äußert sich seine Natur dabei weniger in gefühlvoller Thematik und ausgleichende Formschöne, sondern in inhaltsbetontem Anspringen gegen die Fesseln der Form und vor allem gegen die Grenzen der bis vor kurzem üblichen melodischen und auch pianistischen Ausdrucksweise. Senn Sonate ist eine Kampfansage gegen den Salonklavierstil rückschauender Tonsetzer, aber auch gegen die Neuerungsversuche von Kunstrichtungen, die heute Gott sei Dank als kunst- und artfremd hinreichend erkannt sind. Sein bewundernswertes Können, sein edles Wollen, sein reifer Ausdruck wird bei ehrlicher Stellungnahme jede Anwendung von Vorurteilen, auch wenn sie aus tiefster künstlerischer Ueberzeugung des Beurteilenden kommen, aus dem Sattel werfen.

Senns Liedschaffen geht, soweit dies aus den Vortragsstücken zu entnehmen war, leichter zu folgende Wege. Wohlbewandert im herkömmlichen liedmäßigen Ausdruck ("Mondnacht", "Bettelglück", "Mädels") gelangt der Meister in stärkerer Betonung seiner Eigenart über die gedankliche Erfassung des Liedgehaltes zur Übersetzung in die Tonsprache. Das gibt seinen Liedern den gewählten Ausdruck, die sorgfältige Melodiegestaltung, die pianistisch wohlgesetzte Begleitung. Doch bricht auch ab und zu über den feinsinnigen Lyriker der Urmusiker durch und gestaltet dann prächtig erfasste Tongemälde ("Alte Weise") oder rauschende Klanggebäude ("Selige Zeit") So trennt sich doch grundsätzlich Klavier- und Liedschaffen in naturgegebener Entsprechung: Am Instrument lässt sich der musikalische Genius seiner Einfallskraft, seinem Gestaltungsdrang und Formungssinn freien Lauf; an Hand der Liedtexte meldet sich die nachfühlende Seite seines Wesens zu Wort und ordnet sich den Stilerfordernissen der Dichtung unter: "Naive" und "sentimentale" Schaffensweise (Schiller).

Den gesungenen Teil des Abends bestritt zum Großteil Ilse Eccher-Schürer in klagloser Ausführung und starker Hingabe an den oft eigenwilligen, wortvertonenden Ausdruck des Meisters; Herr Rudolf Steiner sang drei Lieder in zusehends steigernder Befreiung von Hemmungen klanggestaltender Art, besonders gut der zweite Teil von "Bettelglück". Am Klavier brachte Kapellmeister Schadler (Wien) des Meisters Werke zu Gehör, sichtlich erfüllt von vorbildlicher Ergebenheit an Senn Kunst, aber doch mehr kapellmeister- als klaviermäßig. Da klang des Meisters Eigenbegleitung zu den Liedern (Fr. Schürer) doch ausgeglichener, ursprünglicher.

Es hatten sich viele Freunde Senns eingefunden, die seiner Kunst reiche und herzliche Anerkennung zollten. Aber es ist wohl als selbstverständlich anzunehmen, daß Karl Senn 60. Geburttag noch in anderer Umrahmung gefeiert wird!? Senn hatte an der Gründung und Leitung der oft genannten "Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten" führenden Anteil. Um so auffälliger musste die Beobachtung wirken, daß außer Dr. Riester auch nicht einer seiner bekannteren Kunstgenossen an diesem Abend zu sehen war. Trennt sich hier etwa "Arbeit" und "Gemeinschaft?"


Eine Vielzahl von Gratulanten aus dem öffentlichen und privaten Leben stellten sich mit Grußbotschaften ein, darunter so unterschiedliche wie jene der ideologisch ganz rechts orientierten Universitäts-Sängerschaft Skalden und jene vom Ordinarius des Musikwissenschaftlichen Instituts der Universität Innsbruck, Prof. Dr. Wilhelm Fischer, der jüdischer Abstammung war.

Prof. Fischer schickte seine Visitenkarte. Auf der Vorderseite steht gedruckt:
"Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Fischer und Frau

Auf die Rückseite schrieb Prof. Fischer:
"60 Jahre alt? Sie scherzen,
werter Herr! Auf jeden Fall
gratulieren wir von Herzen!
Glück und Segen überall!
Herzlichst die Umstehenden.
31. Jänner 1938"

Prof. Wilhelm Fischer blieb mit Karl Senn auch nach dem Zweiten Weltkrieg in Kontakt, was gegenseitige Gratulationskarten zu diversen Anlässen nahe legen (Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 1204).



Der Alt-Herren-Verband der Universitäts-Sängerschaft Skalden zu Innsbruck sandte einen mit 1. Februar 1938 datierten Brief:

Lieber Bundesbruder!

Zu Deinem 60. Geburtstage beglückwünschen wir dich herzlichst, Alte wie Junge. Wir danken Dir für dein echt deutsches Kunstschaffen und für Deine aufrechte Gesinnung. Dein Name ist in deutschen Landen als einer der besten Tiroler Komponisten berühmt und wir sind stolz darauf, daß Du einer aus unseren Reihen bist.

Wir wünschen Dir zu weiterem Schaffen ungebrochene Kraft und viele Erfolge.
Er würde uns sehr freuen, wenn wir Dir zu Ehren einen kleinen Abend veranstalten dürften.

Bei dieser Gelegenheit gedenken wir auch an die großen Verdienste, die du Dir als Chormeister seinerzeit um den Bund erwoben hast und danken dir aus vollem Herzen. Daß besonders wir
A[lten] H[erren] Dir stets in Treue und Begeisterung echt bundesbrüderliche Gefühle entgegenbringen, des kannst Du aufrichtig versichert sein.

In diesem Sinne wiederholen wir unsere Glückwünsche und begrüßen Dich
mit treudeutschen Skalden-Heil
[ab hier handschriftlich:]
Mit Gruß u[nd] Handkuß an verehrte Frau Gemahlin
Dein ergebener
[...?, T. Biener?, Namenszug]

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 939)


Liedvertonung von Karl Senn im Rahmen der Werbeaktion für die Volksabstimmung am 10. April 1938

In: Lebendiges Tirol, Beilage der Neuesten Zeitung, vom 2. April 1938, S. 8


Kurzbiographie von Karl Senn in:
Wissenschaft und Kunst in der deutschen Ostmark,
Wien-Graz-Leipzig: Verlag für völkisches Schrifttum 1938, Sp. 1205 f., mit Fotoporträt

Senn Karl, Dr. jur.,
Professor, Komponist, wurde am 31. Jänner 1878 in Innsbruck geboren. Er besuchte dortselbst das Gymnasium, wo er 1897 maturierte, und studierte dann an der Universität Innsbruck, wo er 1903 zum Dr. juris promoviert wurde. Nebenbei studierte er Musik am Innsbrucker Musikverein und privat bei Direktor Josef Pembaur (Klavier, Orgel, Geige, Cello, Kontrabaß, Musiktheorie). Schon vor und während seiner Studien war er als Chormeister des akademischen Gesangvereines tätig und trat auch in eigenen Konzerten und als Konzertbegleiter vor die Oeffentlichkeit. 1905 trat er in den Staatsdienst (Eisenbahn), den er 1921 [richtig: 1924] als Oberstaatsbahn-Rat verließ. Während des Krieges leistete er innerhalb seines Ressorts Militärdienst und wurde mehrfach ausgezeichnet. Von 1919 bis 1923 leitete er als Chormeister die Innsbrucker Liedertafel; von 1923 bis 1927 war er in gleicher Eigenschaft beim Tiroler Sängerchor in Wien tätig. Seit 1927 wieder in Innsbruck widmete er sich vorwiegend der Komposition, deren Anfänge schon in die Gymnasiastenzeit zurückreichen. Unter seinen Werken finden sich viele Lieder, Klavierwerke (2 Klavierkonzerte), Kammermusikwerke (Geigensonaten, Streichquartette, Klaviertrios und -Quartette, Lieder mit Streichquartett, ein Bläser-Sextett), Männer-, Frauen- und gemischte Chöre mit und ohne Orchester (ein Chorwerk "Ode an das Feuer" wurde 1907 mit dem Preis der Stadt Graz gekrönt), Orchesterwerke, Orgelwerke, drei Opern, eine abendfüllende Pantomime, Kirchenmusik usw. Fast alle diese Werke wurden bei Konzerten und im Rundfunk Oesterreichs und Deutschlands mit größtem Erfolg bei Publikum und Fachkritik aufgeführt. In Würdigung seiner außerordentlichen Verdienste wurde der Komponist 1927 vom Bundespräsidenten zum Professor ernannt. Dr. Senn ist Vorsitzender der Prüfungskommission in Innsbruck für [die] Kapellmeisterprüfung. Dr. Senn ist verheiratet und hat einen Sohn. Wohnung: Innsbruck, Claudiastraße 6.

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1938, 19. Mai - Berlin
Paul-Gerhardtkirche, Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 47

Feierstunde
mit Werken zeitgenössischer Tonsetzer der Ostmark zugunsten der Österreich-Hilfe

Programm

Josef Eduard Ploner
"Den Gefallenen". Mittelsatz aus der "Heldenorgel-Suite", Werk 52 (Manuskript)*
Zwei geistliche Lieder, Werk 16* (a. Gottesnähe, b. Dankgebet)

Karl Senn
Bearbeitung von Couperin"s Larghetto* für Violoncello und Orgel
Legende: "Als Christ der Herr am Holze hing" (Manuskript)*

Albert Riester
Zwischenspiel für Orgel (Manuskript)**, komponiert 1937

E[rnst] N[ikolaus] von Reznicek
"Nachtstück" für Violoncello und Orgel

Ferdinand Folba
Vater Unser (Manuskript)*

Franz Neuhofer
Schlußsatz aus der "Österreichischen Orgelsonate", Werk 220a*

*
= Erstaufführungen für Berlin - ** = Uraufführung



Besprechung dieses Konzerts in
Signale für die musikalische Welt, 96. Jahrgang, Berlin 1. Juni 1938, Nr. 22/23, S. 364:

Eine musikalische Feierstunde in der Paul-Gerhard[t]-Kirche bekam durch Werke zeitgen[össischer] Tonsetzer der Ostmark, die für Berlin Erst- und Uraufführungen waren, einen besonderen Reiz. Überall spürte man im wesentlichen den gemeinsamen Grundcharakter, überall wurden tiefe seelische Erregungen in einer uns vertrauten Melodik zum Ausdruck gebracht. Erwähnt seien nur die ausdrucksstarken geistlichen Lieder (op. 16) von J. E. Ploner und der im Deutschlandlied gipfelnden geschickt gearbeitete Schlußsatz aus F. Neuhofers "Österreichischen Orgelsonate". Willy Jaeger mit feinsinnigem Spiel an der Orgel, J. M. Hauschild mit wertvollem Stimmaterial und Armin Liebermann, der bewährte Cellist, waren die Interpreten.



Brief des gebürtigen Wieners J[osef] M[aria] Hauschild (*1887), laut gedrucktem Briefkopf "Professor, Konzertsänger, Bass-Bariton, Hochschullehrer für Sologesang , aus Berlin am 24. Mai 1938 "An die Arbeits-Gemeinschaft der Tiroler Komponisten p[er] Adr[esse] Herrn Prof. Dr. Karl Senn, Innsbruck, Claudiastr. 6 :

Meine lieben Tiroler Komponistenfreunde!
Anbei sende ich Ihnen die Noten, 9 Programme, 1 Plakat und 4 sehr gute Kritiken von Berliner Blättern zu.

Es freut mich, dass es uns gelungen ist, Ihnen einen so großen Erfolg vor der verwöhnten Berliner Presse zu schaffen. Die Begeisterung war allgemein sehr gross.

Wenn Sie Herrn Musikdirektor Willi Jaeger, Berlin-Friedenau, Lauterstr. 38 und Herrn Armin Liebermann, Kammermusiker, Berlin SW 29, Fichtestr. 19, Ihren Dank aussprechen würden, wäre ich sehr dankbar, da sich beide Herren auch unentgeltlich in den Dienst des Abends gestellt haben. Herr Willi Jaeger hat [unterstrichen:] ganz besonderen Anteil am Zustandekommen des Abends.

Vielleicht könnte man in der Innsbrucker Presse über den Abend eine kurze Notiz erscheinen lassen, was mir sehr angenehm wäre.

Ich hoffe Sie alle bei bestem Wohlsein und bleibe mit deutschem Gruss
Heil Hitler!
Ihr
J. M. Hauschild

(Brief maschinschriftlich, Unterschrift von Hand; literarischer Nachlass von Karl Senn, wie oben, Nr. 751)

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1938, 1. Juli - Greiz (Thüringen)
Stadtpfarrkirche Greiz

38. Orgelvesper
veranstaltet von Stadtorganist Alfred Schäufler, Greiz
Ausführende

ls Gast an der Orgel Georg Winkler, Organist der Andreaskirche Leipzig
Frau Gertrud Schleicher, Greiz, Gesang
A. Schäufler, Begleitung

Programm

W. v. Baussmann
Choralvorspiele: Herzlich lieb hab ich dich, o Herr - Nun sich der Tag geendet

Georg Winkler
Choralvorspiel: Morgenglanz der Ewigkeit

W. A. Mozart
"Halleluja" Arie aus der Kantate Exultate

A. Dvorak
"Singet dem Herrn ein neues Lied"

G. Winkler
Passacaglia [für Orgel], e-moll, op. 28

E. Nössler
"Immanuel" (15. Jahrhundert) [für] Sopran und Orgel
Bibelworte Gebet Segen

Karl Senn
Vorspiel [für Orgel], d-moll

J. E. Ploner
Choral und Fuge [für Orgel] über "Heilig Vaterland"

N. B. Sämtliche Orgelwerke werden erstmalig in Greiz gespielt.

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1938, 6. Mai - München:Veranstaltung im Deutschen Museum
1938, 7. Mai - München:Aufnahme im Rundfunk München
1938, 27. Juli - München: Sendung im Rundfunk München (Sagen und Liederaus Tirol)

Die Singbuben des Bruder-Willram-Bundes unter Karl Senn präsentieren Tiroler Volkslieder in Bearbeitungen ihres Chorleiters


Sechs Tiroler Volkslieder, für zweistimmigen Knabenchor und Harfe bearbeitet von Karl Senn

1. Tiroler Buab'n 2. Der lustige Schütz 3. Wiegenlied aus Eppan 4. Mit Pfeif und Trommelschlag 5. Der Schütz 6. Die sieb'n Siebnerl

Diese Lieder wurden von den Singbuben des Bruder-Willram-Bundes am 6. Mai 1938 im Deutschen Museum in München gesungen und am darauf folgenden Tag im Münchner Rundfunk auf Schallplatten aufgezeichnet. Die Sendung erfolgte am 27. Juli 1938 unter dem Titel "Sagen und Lieder aus Tirol"
(vgl. Walter Senn, Karl Senn 1878-1964. Aus dem Leben und Schaffen. Werkverzeichnis, Innsbruck 1978, S. 66).


Karl Senn hatte erste große Erfolge als noch ganz junger Komponist mit groß besetzten Chor- und Orchesterwerken. Auch war er ein angesehener Vertreter der Kirchenmusik. Im damaligen Innsbrucker Musikleben war er vielfach tätig als Chorleiter, Dirigent, Klavierbegleiter und Organist. In den Werken seiner ersten Schaffensperiode, bis nach seiner Pensionierung als k. k. Staatsbahnbeamter (1924), spielt Volksmusik noch keine Rolle.

Erst in den frühen 30er-Jahren hat sich Senn dieses Metiers, das er in späteren Jahren so schätzte und durch zahlreiche Bearbeitungen bereicherte, angenommen. Ausschlaggebend dafür war vor allem, dass Karl Senn seit 1927 mit dem Bruder-Willram-Bund in Verbindung gekommen war. Diese Vereinigung, die politisch stark mit dem Austrofaschismus sympathisierte, benannte sich nach Professor Anton Müller Bruder Willram (1870 Bruneck Innsbruck 1939), der Priester war, vor allem aber leidenschaftlicher Verfasser patriotisch geprägter Gedichte und Reden.
Karl Senn übernahm die Singbuben und den gemischten Chor des Bruder-Willram-Bundes. In der Folgezeit schrieb er für beide Ensembles eine Vielzahl von Volksliedbearbeitungen. 1933 entstanden so Arrangements von Tiroler Volksliedern, z. B. für dreistimmigen Knabenchor a cappella oder für dreistimmigen Knabenchor mit Begleitung von zwei Violinen und Cello bzw. Harfe. Mit seinen Singbuben nahm Karl Senn auch teil an patriotischen Veranstaltungen, so beim Tag Jungösterreich am 16. Mai 1932 (s. o.) Das musikalische Rahmenprogramm stammte von Karl Senn, ebenso wie bei einem Vaterländischen Abend am 16. Oktober 1933, den der Bruder-Willram-Bund organisierte und den die Tiroler Singbuben sowie die Jungtiroler Spielschar gestalteten. Die Volksliedbearbeitungen für dreistimmigen Knabenchor hatten Karl Senn, Artur Kanetscheider und Karl Koch beigetragen.

Über das überregional erfolgreiche Wirken Karl Senns mit seinen Singknaben gibt ein Bericht im Tiroler Anzeiger vom 12. Dezember 1932 Auskunft:

So war es auch vor etwa sechs Jahren ein glücklicher Gedanke, aus kleinen, stimmbegabten Tiroler Buben eine Sängerschar heranzubilden, die unter der nimmermüden, fachkundigen Führung von Professor Dr. Karl Senn eine künstlerische Höhe erstieg, deren Ruf inzwischen die Grenzen unserer engen Heimat längst überschritten hat. Denn bisher konzertierten sie in nicht weniger als 32 reichsdeutschen Städten. Letzten Herbst traten sie auch beim Katholikentag in Essen auf, eine Auslese von 22 aus der Gesamtschar von 50 Buben, und weckten im Saal- und Straßensingen die Begeisterung ihrer Zuhörer. Auf dem Rückwege sangen sie in Köln am Rhein, sangen sie im Dom zu Worms und hinterließen berichtgemäß überall einen Eindruck, den jene, die ihn erleben konnten, nicht bald wieder vergessen werden. Gestern fanden sich 16 dieser Sängerknaben im Studio von Radio Innsbruck [ein]. Sie brachten Heimat- und Weihnachtslieder unter Leitung ihres Dirigenten Prof. Senn. Die Weisen wurden von Wien für ganz Österreich, aber auch vom bayerischen Rundfunk in München übernommen.



1938 hatte Karl Senn vermutlich den letzten großen Auftritt mit seinen Tiroler Singbuben.

In diese Zeit fällt auch die Bearbeitung der Dreizehn Tiroler Volkslieder für Sopran, Tenor und kleines Orchester, o. op. (1938), die teilweise 1939 für Radio Tirol aufgenommen und gesendet wurden. Im Rahmen des Konzertprojekts Tyrolienne 2011 des Instituts für Tiroler Musikforschung wurde dieser Zyklus komplett vorgestellt und auf CD dokumentiert (Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 82, Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung 2011).

1938 entstanden auch Karl Senns Bearbeitungen für Salonorchester, nämlich der Zwei Tiroler Ländler aus dem Wipptal o. op. (1938) sowie des Tiroler Volkslieds Die sieben Siebnerln und des Tirolischen Wiegenlieds aus Eppan Deine Wangelan sein röselerot . Diese Stücke sind ebenso auf der CD Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 82 enthalten.



Die Operette Märchen in Nervi
Diese Operette wurde von Karl Senn 1938 vollendet und vom Innsbrucker Stadttheater auch angenommen (vgl. unten Daten zu 1941), dann aber aus undurchsichtigen Gründen wieder abgesetzt. Die Uraufführung fand dann zehn Jahre später, 1948, im Innsbrucker Rundfunkstudio statt.

Bericht über die Uraufführung 1948
in den Tiroler Nachrichten vom 27. Oktober 1948

"Märchen in Nervi".
Uraufführung im Studio Innsbruck
Von Herbert Gschwenter

Radio Innsbruck hat das Verdienst, sich laufend um das Schaffen unserer heimischen Komponisten anzunehmen: Senn, Koch, Meßner, Lechthaler, Ploner, Riester, Berlanda u. a. sind mehrfach zu Worte gekommen, so daß das Radio Innsbruck als einzige Pflegestätte der Tiroler Komponisten bezeichnet werden darf; denn weder Landestheater, noch Konzertsäle scheinen von diesem reichen und vielfältigen Schaffen Notiz nehmen zu wollen.

Die Operette "Märchen in Nervi" hat die Herren [Fritz] Diestel und [Artur] Amann als Textautoren; das Buch ist recht geschickt verfaßt und nützt die Situationen in operettenmäßigem Sinne aus, wenngleich einiges sentimental oder naiv gerät: der Gegensatz zwischen Nord und Süd, zwischen der Wesensart Italiens und Schwedens ist die Grundlage der Handlung. Unser Altmeister Karl Senn schrieb hie[r]zu vor 10 Jahren die Musik, mit der er beweist, daß er auch in der leichten Muse wohl bewandert ist. Es finden sich dankbare Soli (Ständchen, Ave Maria), Duette, Chöre, Schlager, Tanzepisoden, die dem Ganzen eine bunte Note geben und vor allem das südliche Kolorit blendend treffen: Erfindung und Instrumentation ergänzen sich ausgezeichnet. Wenn auch nicht alle Nummern frei von Nachempfindung sind (wie wäre dies heute möglich!), so entschädigen sie durch die Wirkung und das Kolorit; vieles ist opernhaft oder symphonisch, vieles aber auch echte Operette. Allerdings sein Eigenstes bietet Senn auch hier auf absolut musikalischer Ebene, in der feurigen "Tarantella", die durch Thema und Farbe hinreißend wirkt. Reizvoll setzt er Mandoline und Harfe in die Orchesterpalette ein und erzielt hiemit typisch italienische Lichter.


Die Aufführung das als überaus gelungen bezeichnet werden. Kapellmeister Walter Hindelang leitete mit südlichem Schwung und überlegener Beherrschung der anspruchsvollen Partitur und gab einen neuen Beweis seiner hervorragenden Dirigentenbegabung [...].



Bericht über die Uraufführung 1948
in der Tiroler Tageszeitung vom 26. Oktober 1948

"Märchen in Nervi".
Zur Welturaufführung im Studio Innsbruck
Von Albert Riester

Vor zehn Jahren entstand das "Märchen in Nervi". Artur Aman und Fritz Diestel, die Librettisten, nennen es Operette. Karl Senn, der Komponist, hatte die Absicht, den alten Singspielgedanken in modernem Gewande wiedererstehen zu lassen. Das Buch zeigt viele Attribute der Tanzoperette. Das Thema: Karin, eine schwedische Malerin, und Silvano, ein junger Gondoliere, verkünden es selbst. Karin: "Zwei Welten sind wir, Norden und Süden." Silvano: "Seht Ihr, Signorina! Und wir verstehen uns doch so wunderbar." Um dieses Paar gruppiert sich eine flüssige Handlung, ein bißchen sentimental, ein bißchen dramatisch, südlich lebhaft und mit dem nötigen Happy-End. Karl Senns Ausflug in das Reich der leichteren Muse ist ein glänzender Beweis für Können und Vielseitigkeit des einheimischen Meisters. Seine Musik hat Schmiß, Melodie und erwartungsgemäß viel symphonisches Gepräge. Eine orchestrale Glanznummer ist die Tarantella und Silvanos Ständchen "O mia bella signora", ein "Schlager" alla napoletana schmeichelt sich in aller Ohr ein. Von großer Innigkeit ist Pinas Gebet "Ave Maria, madonna del mar". Senns Orchester glitzert in allen modernen Farben, wenn dies auch im Tonband nicht immer voll zur Geltung kommt [...].

Leider ist diese Bandaufnahme im ORF-Archiv von Landesstudio Tirol nicht mehr vorhanden.

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1939, 12. Januar - Zwickau (Sachsen)

Städtisches Orchester Zwickau i[n] Sa[chsen] - 5. Orchester-Konzert
Abend neuer und alter österreichischer Komponisten

Dirigent: Kurt Barth, Solistin: Cläre Frühling (Breslau) Sopran

Programm

Johann Nepomuk David
Partita für Orchester

Josef Eduard Ploner
Ewiger Trost für Sopran und Orchester

Karl Senn
Lieder für Sopran mit Orchesterbegleitung
Alte Weise - Gartenglück - Lebensfreude

Hugo Wolf
Lieder für Sopran mit Orchesterbegleitung
Verborgenheit - Er ist"s - Ich hab in Penna einen Liebsten wohnen

Franz Schubert
Sinfonie Nr. 7 in C-Dur
Zur Erinnerung des 100. Gedenktages der Auffindung des Werkes durch Robert Schumann


Brief von Kurth Barth, "Städtischer Musikdirektor in Zwickau, vom 16. Januar 1939
Briefkopf (gedruckt): Der Oberbürgermeister der Kreisstadt Zwickau Sa[chsen] / Städtisches Orchester

Sehr geehrter Herr Professor [Senn]!
Ich sende Ihnen heute die Noten Ihres Werkes zurück und die gewünschten Zeitungsbesprechungen. Ihre Lieder haben sowohl dem Orchester und auch mir und schließlich auch den Zuhörern sehr viel Freude bereitet. Ich hatte den Eindruck, daß sie nicht etwa für Orchester instrumentiert, sondern von vornherein für Orchester erdacht sind. Ausgezeichnete Behandlung des Orchesterapparates sowie die Schönheit der Gesangsmelodien und nicht zuletzt die ausgezeichnete Vertiefung in den Text berechtigen zu der Annahme, daß ein so kostbares Gut baldmöglichst gedruckt erscheint. Ich bin überzeugt, daß sehr viele Sängerinnen nach solchen Liedern suchen. Die Interpretin, Fräulein Frühling, wird Ihnen gewiss unbekannt sein. Sie gehört zu der aufstrebenden Künstlergeneration und verfügt über keine sehr große, aber [eine] technisch einwandfrei durchgebildete Stimme, deren Timbre sehr sympathisch ist.

Sollten Sie eine Sinfonie geschrieben haben, so bitte ich um unverbindliche Ansichtssendung der Partitur für einige Zeit, vielleicht kann ich sie im kommenden Winter hier aufführen. Das ist zunächst ein Plan. Inwieweit er durchgeführt werden kann, wird sich aus den, etwa im März sich ergebenden weiteren Erwägungen herausstellen.

Ich grüße Sie mit
Heil Hitler!
als Ihr ergebener
Kurt Barth
Städt. Musikdirektor.

(Literarischer Nachlass von Karl Senn, wie oben, Nr. 985)

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1939, 13. Juni - Radiosendung in Innsbruck, 20.30-21 Uhr

Sendung Musikalische Kurzweil mit zwölf der Dreizehn Tiroler Volkslieder
von Karl Senn

Interpreten
Ilse von Eccher, Sopran
Eugen Schürer, Tenor
am Flügel: Carl Senn

Volkslieder Duette

D"Nachtigall
D"Sennerin
Wiegenlied aus Eppan
Tiroler Adler
"s is a Freud
O wie lustig [ist das Almaleb'n]
Die Betschwester Sopran solo
Den schiach"n Weibaleut["n]
Das Schönste auf der Welt
Das Spinnradl
D"Hochalm
Und dass i kloan g"wachs"n bin

Das 13. Lied Altes Neujahrslied "Es kummt an Engel wurde weggelassen.
(Programmzettel: Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 557)

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1940, 12. April - Innsbruck
Großer Stadtsaal

6. Symphoniekonzert der Innsbrucker Konzertgemeinde
Zeitgenössische Tiroler Komponisten

Karl Senn: Totentanz [aus: 1809 (1937/38)]
Josef Eduard Ploner: November 1918 [später: Trauernd Land]
Artur Kanetscheider: Heitere Spielmusik op. 95 (um 1930)
Emil Berlanda: Variationen über ein Thema von W. A. Mozart op. 40 (1939)
Peter Marini: Vorspiel für Orchester
Albert Riester: Orchesterlieder
Hermann Josef Spiehs: Orchesterlieder


Besprechung des Innsbrucker Konzerts vom 12. April 1940
in den Innsbrucker Nachrichten vom 14. 4. 1940
Von Dr. Ehrentraut Straffner

Zeitgenössische Tiroler Komponisten
Das 6. Symphoniekonzert der Innsbrucker Konzertgemeinde

Wortlaut siehe im Abschnitt Ploner.

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[1941] - München: Soldatenliederbuch

In die Zeit um 1940 vermutlich fällt Karl Senns "Mitarbeit" am Soldatenliederbuch Im gleichen Schritt und Tritt. Liederbuch ostmärkischer Soldaten, "herausgegeben vom Stellvertret[enden] Generalkommando XVIII. A[rmee] K[orps]. Unter Mitarbeit von Prof. Karl Senn, Innsbruck".

Erschienen ist dieses Liederbuch 1941, ohne Jahresangabe, im "Zentralverlag der NSDAP, Fr[anz] Eher Nachf[olger], München. Die "Gesamtauslieferung für die Ostmark" erfolgte durch den "NS-Gauverlag und [die] Druckerei Tirol GmbH., Innsbruck".

Auf Seite [4] ist angegeben: "Die Lieder, Worte und Weisen hat zusammengestellt und verantwortet Major Manz."

Die Mitarbeit von Karl Senn betraf vor allem die Gestaltung der zweistimmigen Liedsätze, die Einbeziehung von Tiroler Liedern und Tiroler Komponisten und einige eigene Liedvertonungen. Der Inhalt des Liederbuchs beschränkt sich weitgehend auf historisches Liedgut und ist völlig frei von jeglicher insbesondere antisemitischer Polemik. Das militante und sprachlich vielfach abgeschmackte und naive Vorwort "Sing Kamerad!" von Ulf Seidl, u. a. Schriftsteller und Hauptmann im Stellvertretenden Generalkommando XVIII. Armeekorps, wäre entbehrlich.

Die einzelnen Abschnitte des Liederbuchs:
[1] Weihelieder und Heldengedenken S. 11-18
[2] Aus alter und großer Zeit S. 19-37
[3] Infanterie S. 38-56
[4] Gebirgsjäger singen S. 57-74
[5] Reiterlieder S. 76-84
[6] Artillerie S. 85-90
[7] Pionier und Panzer, Funker und Kolonnen, Landesschützen, M[aschinen]G[ewehr]K[orps]
S. 91-104
[8] Die Luftwaffe S. 105-110
[9] Marschieren! S. 112-138
[10] Lieder der Zeit S. 139-159
[11] Im Quartier bei Wein und Bier S. 161-189
[12] In der Heimat S. 190-212

Tiroler Volksliedarchiv, Sign. IAc41


Der tirolische Anteil am Liederbuch "ostmärkischer Soldaten" ist folgender:

A) Allgemeine Tiroler Volkslieder,
vermutlich von Karl Senn in das Liederbuch eingebracht, wie:

Andreas Hofers Abschied "Ach Himm'l, es ist verspielt", S. 19;
"Auf, auf, ihr Tiroler und spannt eure Büx", mit Quellenangabe "Tiroler Volkslied aus dem Tauferer- und Ahrntal zu Anfang des 19. Jahrhunderts", S. 21 f.;
Andreas Hofer "Zu Mantua in Banden", S.36 f.
"Das Schönste auf der Welt ist mein Tiroler Land , S. 115 f.;
"Tirol du bist mein Heimatland", S. 138;
"Hietz löb"m miar Bursch'n wohl alle frisch auf", mit Quellenangabe "Altes Soldatenlied aus Tirol", S. 177;
"Iß an Knöd'l", mit Quellenangabe "Tiroler Schnadahüpfel (Gstanzl)", S. 179;
Der lustige Schütz "An Gamsbock han i g'schossn", mit Quellenangabe "Volkslied aus dem Eggental in Tirol", S. 191;
Die frischen Tiroler "Mir frisch'n Tiroler mit fröhlich'n Muat", S. 199 f;
"Tirol is lei oans", S. 208.



B) Liedvertonungen und Liedbearbeitungen von Karl Senn:

Fliegerlied "Laßt Kameraden laut Propeller dröhnen", "Worte: Siegfried Lavial/Weise: Karl Senn", S.107 f.;
Feuertaufe "Aufgeschreckt, noch traumbetrogen. Schüssewechsel und Alarm!", "Worte: A. v. W. [Arthur von Wallpach]/Weise: Karl Senn , S. 139;
Der Feldpostbrief "Der Brief von deiner lieben Hand", "Lied in einem Feldlazarett/Worte von Leutnant Karl Rolle bearbeitet von Karl Senn", S. 141;
Alpenjägerlied "Fern der Heimat übers weite Meer", "Worte: Heinrich Anacker/Weise: Karl Senn", S. 143;
Der letzte Gruß "Frühling, o gold'ne Zeit", "Lied einer Gebirgsjäger Kompagnie/Worte: H. B. v. Told/Weise: bearbeitet von Karl Senn", S. 144;
Ausfahrt "Schwarz und wild von Norden kommt er schon gebraust", "Lied einer Gebirgsjäger-Abteilung bei der Überfahrt nach Norwegen/Worte von Leutnant d[er] R[eserve] Josef Leitgeb/Weise bearbeitet von Karl Senn", S. 149;
Wanderlied "Wandern in die Weite", "Worte: J[osef] G[eorg] Oberkofler/Weise: Karl Senn , S. 156;
Altes Söldnerlied "Ruck" her, Gesell, ich schenk dir ein", "Worte: Alfred Huggenberger/Weise: Karl Senn", S. 182 f.;
"Wisst ihr, wie Tiroler lieben , "Worte: Paul Rainer, Innichen/Weise: Karl Senn", S. 210.



C) Liedvertonungen anderer Tiroler Komponisten

Hermann Blaas
"Die Berge sind unsre Heimat", "Worte und Weise", S. 61;

Max Depolo
"Wir Jäger lassen schallen", Kaiserjägerlied, "Worte und Weise", zwei Fassungen, S. 71-73; Fassung [1]/S. 71 "mit Erlaubnis des Verlages Johann Groß, Innsbruck".

Artur Kanetscheider
Das Lied der Kolonnen "Hörst du es brausen die Straße entlang", "Worte: H[au]pt[mann] Franz Trattnig/Weise: L[eutnan]t Artur Kanetscheider", S. 95 f.;
Lied der Kf. 18 "In stürmischer Nacht, in tobender Schlacht", "Worte: H[au]pt[mann] Franz Trattnig/Weise: L[eutnan]t Artur Kanetscheider", S. 97;

Peter Marini
Tiroler Scharfschützen "Auf Tirol! Nicht lang verweile", "Worte: von einem Höttingerbauern 1796/Weise: Peter Marini", S. 140;
"Nun tretet mutig an", "Worte: Zinkgraf 1632, 2. und 3. Strophe von Max Pohl/Weise: Peter Marini", S. 148;
Edelweißtruppen "Und wenn's einmal zum Scheiden kommt", mit Quellenangabe: "Altes Schützenlied (Napoleonlied) anläßlich der Spingeser Jahrhundertfeier mit dem 'Kanonenjodler' (Kanonjodler) aus dem Munde des Hans Mayr in Unteran bei Franzensfeste 1. und 2. Strophe aufgezeichnet. Dies Lied bereits 1812 im Bregenzerwald gesungen./Weise: Peter Marini", S. 152 f.



D) Weitere Tirol-Relevanz in den Liedern

Eine Aufzeichnung betrifft Das Gamsgebirg "Wir sind Tiroler Schützen", S. 73 f., "Worte und Weise: Nach der mündlichen Überlieferung der Fliegertruppe aufgezeichnet durch Gerhard Pallmann. Mit Erlaubnis des Verlages N[ikolaus] Simrock, Leipzig".

Gerhard Pallmann war damals Herausgeber zahlreicher Kriegs- bzw. Soldatenliederbücher und Komponist von Liedern dieses Genres.

Es ist bemerkenswert, dass Josef Eduard Ploner mit keiner Liedfassung vertreten ist, obwohl er noch zu dieser Zeit als enger Mitarbeiter Karl Senns bezeichnet wird, etwa im Artikel von Peter Marini zu Karl Senns 60. Geburtstag in Lebendiges Tirol vom 29. 1. 1938 (siehe oben). Andererseits ist auch Karl Senn im "Gauliederbuch" Ploners mit Liedschöpfungen unberücksichtigt geblieben, was die Vermutung nahe legt, dass es zwischen beiden zu Unstimmigkeiten gekommen sein dürfte.


1941, Februar - Karl Senn als Vortragender bei einem Lehrgang für Singtruppführer in Salzburg

Innsbrucker Nachrichten vom 11. Februar 1941, Seite 5


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[1941] - Wien: "Ostmärkisches Chorliederbuch"?

Einladung zur Mitarbeit an einem "Ostmärkischen Chorliederbuch"

Brief des Musikverlags Ludwig Doblinger (Bernhard Herzmansky) Wien-Leipzig an Karl Senn, datiert Wien, 29. April 1941

Sehr geehrter Herr Professor!

Zufolge eines Schreibens des Herrn Peter Marini vom 25. IV. d[ieses] J[ahres], auf dessen Inhalt wir leider nicht näher eingehen können, wenden wir uns nochmals an Sie, mit dem Ersuchen um Einsendung von Tiroler Volksliedern für gemischten Chor, für unser ostmärkisches Chorliederbuch.

Wir sind gerne bereit, die Frist 30. April zu erstrecken, wenn wir die Gewähr haben, dass entsprechende Einsendungen erfolgen.

Wir sandten Ihnen bereits einige Zirkulare und legen unserem heutigen Schreiben nochmals 10 Rundschreiben bei.

In einem ostmärkischen Chorliederbuch dürfen selbstverständlich Werke Tiroler Komponisten nicht fehlen, infolgedessen hoffen wir auf zahlreiche Einsendungen aus Ihrem sangesfrohen Gau.

Mit besten Empfehlungen und
Heil Hitler!

[Firmenstempel und Unterschrift] "p[er] p[rocur]a[m] A[lbert] Graf

Beilage: 10 Rundschreiben.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 994)



Bernhard Herzmansky, der Eigentümer des Musikverlags Doblinger, wurde vom 20. März 1938 bis 20. September 1938 in Haft gehalten, zuerst im Polizeigefangenenhaus Wien, dann im KZ Dachau. Die Nationalsozialisten verfügten die kommissarische Verwaltung des Betriebs und setzten für die Firmenleitung Albert Graf und Johanna Zehetner als Prokuristen ein.

Noch am 9. März 1938 waren in das "Verlagsnummerbuch" des Doblinger-Verlags "Bläserfanfaren" des Tiroler Komponisten Vinzenz Goller (1872 St. Andrä/Brixen - St. Michael/Lungau 1953) worden (Herbert Vogg, 1876-1976. 100 Jahre Musikverlag Doblinger, Wien-München 1976, S. 84f.).

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Weiterer Brief des Musikverlags Ludwig Doblinger (Bernhard Herzmansky) Wien-Leipzig an Karl Senn, datiert Wien, 10. September 1941


Sehr geehrter Herr Professor!

Wir danken Ihnen, dass Sie unserer Aufforderung auf Einsendung von Chor-Manuskripten für ein ostmärkisches Chorliederbuch Folge geleistet haben.

Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass die mit der Auswahl der Chöre für das Chorliederbuch bestimmte Kommission den Chor "Is a Freud" ausgewählt hat.

Bezüglich der Ueberlassung dieses Chores für unser Chorliederbuch erlauben wir uns, nachstehenden einheitlichen Vorschlag zu machen:

Für jede Auflage von 10.000 Exemplaren ein festes Honorar von RM 10,-. Für die erste Auflage ist das Honorar fällig bei Unterfertigung des Vertrages, für die weiteren Auflagen bei Verkauf der betreffenden Auflage.

Wir bitten Sie um Nachricht, ob Sie mit diesem unseren Vorschlag einverstanden sind.

Bezüglich der übrigen uns freundlichst eingesandten Chöre, teilen wir Ihnen ergebenst mit, dass wir infolge der Fülle des Materiales leider nicht in der Lage waren, diese Ihre Werke bei der Aufnahme in unser Chorliederbuch zu berücksichtigen.

Wir planen jedoch nach Beendigung des Krieges die Herausgabe einer Reihe ostmärkischer Chöre und sind gerne bereit, auf die mit gleicher Post rückgesandten Chöre

"Die Belagerung von Greifenstein"
"Den Stutzen her beim Saggara"
"Hochzeitslied"
"Schloss in Österreich"

zurückzukommen.

Heil Hitler!

[Firmenstempel mit "p[er] p[rocur]a[m] vorweg und Unterschrift] A[lbert] Graf


(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 995; auf Seite 2 des Briefs stenografischer Vermerk von Karl Senn, datiert "4. X. [19]41 )

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1941, 22. Mai - Innsbruck
Städtische Musikschule, Konzertsaal

Letzter Kammermusik-Abend
veranstaltet vom Tiroler Landestheater Innsbruck / Intendant M[ax] A. Pflugmacher

Mitwirkende
Antonie Brixa (Klavier), Julius Bassler (Klavier)
Dr. Hermann Juch, Wien (Baß), Dr. Albert Riester (Harfe)
Kammerorchester des Tiroler Landes-Symphonieorchesters
unter Leitung von Musikdirektor Fritz Weidlich

Vortragsfolge

1. M[arco] Enrico Bossi
Goldoni-Intermezzi für Kammerorchester, Werk 127
a) Vorspiel b) Feierabend c) Kleine Serenade d) Burleske

2. Hugo Wolf
Lieder
a) Musikant b) "Und willst du deinen Liebsten sterben sehn"
c) "Ein Ständchen euch zu bringen" d) Verschwiegene Liebe e) Heimweh

3. Karl Senn
Musik für Harfe und Streicher
Mäßig bewegt Langsam Sehr lebhaft

4. Richard Strauss
Lieder
a) Traum durch die Dämmerung b) Himmelsboten
c) Allerseelen d) Nichts e) Zueignung

5. Serge Rachmaninoff
Zweite Suite für 2 Klaviere, Op. 17
Introduktion Valse Romanze Tarantella

6. P[eter] I[ljitsch] Tschaikowsky
Serenade für Streichorchester
Einleitung: Andante non troppo Walzer Finale (Russisches Thema)



Besprechung des Kammermusikabends vom 22. 5. 1941
in den Innsbrucker Nachrichten vom 24. 5. 1941
Von Peter Marini

Karl Senn im letzten Kammermusikabend

Seit Schumann werden an die Kammermusik die höchsten Anforderungen gestellt. Gerade diese Kunstform sollte den Menschen hinausheben über alle Begrenztheiten, Zufälligkeiten und Nichtigkeiten des individuellen Daseins und ihn ein höheres Sein ahnen lassen, ja der Kammermusik schreibt man eine höhere Mission als Philosophie und Religion zu, seit diese in Bekenntnisformen erstarrte und jene sich die Maske wissenschaftlicher Gelehrsamkeit umgebunden hatte. Doch für eine lebendige Wirkung dieser Kunstform im Sinne genannter Mission konnten bis heute die Voraussetzungen nicht geschaffen werden; sie fehlen bei jenen, die Kunst der Allgemeinheit vermitteln und im erhöhten Maße bei jenen, welche sie aufnehmen sollen. Unmöglich wird diese hohe Zielerreichung, wenn die Programmgestaltung revuehaften Charakter aufweist, wie eine törichte Mode befiehlt "allen etwas zu bieten".


Verheißungsvoll setzte der Abend mit den klangschönen und tiefen Goldoni-Intermezzi von M[arco] E[nrico] Bossi ein, die wir gerne ungekürzt auf Kosten der beiden Russen gehört hätten. Tschaikowskij war durch eine Streicherserenade, einer etwas blutarmen Gelegenheitsarbeit, vertreten, die einen Walzer aufweist, welcher unter der Büste Beethovens doppelt banal wirken musste. Rachmaninoffs Suite für zwei Klaviere ist ein Jugendwerk, das die Bärenpranken des späteren gereiften Rachmaninoff nicht einmal ahnen läßt. Um eine gute Wiedergabe dieses Werkes bemühten sich die beiden sehr ungleichen Kräfte Antonie Brixa und Julius Baßler. Nur ganz wenigen Solisten ist es gegeben, den toten Mechanismus des Klaviers in lebenspendende Kraft zu verwandeln (Max Reger bezeichnete das Musizieren auf zwei oder mehreren Flügeln nicht ganz zu Unrecht als groben Unfug). Ueberaus nobel und empfindungsvoll sang der Wiener Bassist Hermann Juch Lieder von R[ichard] Strauß und Hugo Wolf. Er verfügt zwar über keine großen Stimm[m]ittel, doch über eine glänzend kultivierte Stimme. Das überfüllte Haus pflichtete dem Sänger für seine Anschauung lebhaft bei, daß die beiden Meister auch andere als die in öffentlichen Konzerten ausgesungenen zehn Lieder komponiert haben.

Den Glanzpunkt bildete die Uraufführung der Musik für Harfe und Streicher von Karl Senn, dem Nestor und Führer der Komponistenschaft unseres Gaues. Unsere sehr dürftige Musikliteratur für Harfe findet durch dieses Werk eine äußerst wertvolle Bereicherung. Die meisten der Zuhörer mögen baß erstaunt gewesen sein, welche Wirkungen mit dem deutschen Meisterinstrumente, von Albert Riester virtuos gespielt, erreicht werden können. Die aus drei Sätzen bestehende eigenwillige Arbeit von Karl Senn ist absolute Musik ohne jede Problemstellung. Die Themen sind klar und konsequent durchgearbeitet, also allgemein verständlich, jedoch stellt der Autor sehr große Anforderungen an die ausübenden Musiker. Von durchschlagendem Erfolge war der Mittelsatz, mußte es wohl sein, weil sich Senn zur frohgemuten, kraftvollen wie jünglingshaft-schwärmerischen Romantik bekennt, die allen Leichenreden zum Trotz allein die Brücken von den Spielern zu den Hörern zu schlagen vermag. "Verstandesmäßiges Kunstauffassen" ist ein Hindernis, zum Kunstgenusse zu gelangen, den Schopenhauer als willenlose Betrachtung definiert, welche alles eigene Wollen und Denken ausschaltet.

Mit großem Beifall wurde der Dirigent, Musikdirektor Fritz Weidlich, bedacht, der durch gewissenhafte Vorbereitung seiner Konzerte stets das Bestmögliche aus den vorhandenen Kräften herauszuholen vermag.


Besprechung desselben Kammermusikabends vom 22. 5. 1941
im Völkischen Beobachter München vom 26. 5. 1941
Von Peter Marini

Innsbrucks letzter Kammermusikabend

Zweckmäßigkeit hat in der musikalischen Kunst eine große Bedeutung, weil sie Fragen in den Vordergrund stellt, die eine klare Beantwortung nach der rein gesellschaftlichen und der rein künstlerischen Seite hin erfahren müssen. Zweckmäßigkeit führt aber auch zu Kompromissen und regelt zum Vorteil oder Nachteil all das, was mit Kunst und Künstlern zusammenhängt. Die Frage der Zweckmäßigkeit erübrigt sich bei der Aneinaderreihung ganz stilverschiedener und in keinem Zusammenhange stehender Werke.

Weit über allem Gebotenen stand die uraufgeführte "Musik für Harfe und Streicher" von Karl Senn, ein Werk, das die Behauptung Lügen straft, Kriegszeiten lassen alle künstlerischen Kraftquellen versiegen. Diesem Werke wird man in den Konzertsälen noch oft begegnen: alle drei Sätze enthalten absolute Musik ohne Problemstellung, sind streng thematisch und klar durchgearbeitet und wirken trotz Nichtüberspannung der klangsinnlichen Mittel äußerst apart und eigenwillig. Ganz große Anforderungen stellte diese in der Rhythmik scharfe wie ungemein biegsame Arbeit an den Harfenisten. Dr. Albert Riester brachte das Werk in virtuoser und überlegener Technik, klangschön und plastisch und führte es zum Siege. Der 2. langsame Satz überrascht durch sein jünglinghaft-schwärmerische wie frohgemut-kraftvolle Romantik, die, obwohl tausendmal totgesagt, allein im Stande zu sein scheint, wenigstens auf Grund der Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten, den unmittelbaren Zusammenschluß von Spieler und Hörer zu schaffen.

Die Leistungen des Wiener Bassisten Hermann Juch wurden sehr beifällig aufgenommen. Er verfügt über keine große, doch über eine sehr kultivierte Stimme und erwies sich als vorzüglicher Hugo-Wolf-Interpret, der auch den Mut besitzt, gerade die "nichtdankbaren" Meisterlieder von Wolf und R. Strauß zu bringen. Frau Brixa und Herr Baßler bemühten sich um eine gute Wiedergabe der zweiten Suite für 2 Klaviere des jungen Rachmaninoff.

Besonders herzlicher Beifall wurde dem Dirigenten Musikdirektor Fritz Weidlich zuteil, der nicht nur als großer Könner, sondern auch als unermüdlicher und gewissenhafter Vorbereiter seiner Konzerte aus den vorhandenen Kräften das Bestmögliche herauszuholen imstande ist.



Die Musik für Harfe und Streicher von Karl Senn wurde nach dem Krieg noch einmal im Großen Konzerthaussaal des Wiener Musikvereins am 16. November 1948 mit dem Orchester Neuer Wiener Musikverein unter der Leitung von Rudolf Nilius und mit der Solistin Ilse Charlemont-Zamara gespielt. Das Konzert stand unter dem Motto "Drei Werke aus dem österreichischen Musikschaffen der Gegenwart".

Neben Karl Senn war der Wiener Komponist Hans Doubra mit einer "Ouvertüre" sowie der aus Schwaz/Tirol stammende und in Salzburg wirkende Komponist Josef Messner mit der Uraufführung von "3 Sätze[n] aus der Salzburger Suite" vertreten. Nach der Pause standen zwei Werke von Carl Goldmark auf dem Programm, sein Violinkonzert a-moll, op. 28 und die Ouvertüre zu Sakuntala, op. 13.

Eine weitere Aufführung ist nicht bekannt, obwohl sich Karl Senn offensichtlich darum bemüht hat, wie ein (handschriftlicher) Brief der Harfenistin Ilse Füller-Marschalek vom 22. August 1954 aus Hannover belegt:

Sehr geehrter Herr Professor!

Nachdem ich Ihre "Musik für Harfe und Streicher" soweit beherrsche, daß ich mir ein Urteil über das Werk erlauben kann, möchte ich Ihnen endlich einmal schreiben. Und zwar drängt es mich, Ihnen zu sagen, wie begeistert wir davon sind. Es ist einfach wundervoll. Wie soll man ahnen können, daß irgendwo auf der Welt ein Werk schlummert, das verdient geweckt zu werden, zumal die Literatur für Harfe so klein ist. Ich beabsichtige es mit anderen Orchestern und mit dem Rundfunk zu spielen. Ich setze Sie dann jeweils davon in Kenntnis, wenn es soweit ist. Aber ich hätte eine Bitte: Mein Manager hätte gern, daß es für mich allein bleibt, jedenfalls in Deutschland. Hoffentlich erfüllen Sie mir diese Bitte; denn wo es nur irgend geht, möchten wir es einsetzen. Wenn ich mal nach Österreich kommen sollte, was nicht ausgeschlossen ist, suche ich Sie bestimmt auf.

Sollten Sie sonst noch mehr solche schöne "Eingebungen" haben, dann schreiben Sie noch mehr. Es kann Trio, Quartett oder Orchesterwerk sein, in allen Variationen.

Ich grüße Sie mit vorzüglicher Hochachtung
Ilse Füller-Marschalek
Harfenistin

Hannover, Grotestr. 7a

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 1202)



Das Harfenkonzert von Karl Senn wurde am 28. Juli 2012 in einem Konzert des Instituts für Tiroler Musikforschung für eine CD-Produktion aufgeführt (Solistin Maria Stange, Orchester der Akademie St. Blasius, Dirigent Karlheinz Siessl).

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1941 - Innsbruck: Operette Märchen in Nervi?

Verhandlungen zur Aufführung von Märchen in Nervi am Tiroler Landestheater

Schreiben des Intendanten des Tiroler Landestheaters und des Landes-SymphonieorchestersInnsbruck, M[ax] A. Pflugmacher, an Karl Senn vom 17. Juli 1941
Sehr geehrter Herr Professor!

Ich bin grundsätzlich bereit und daran interessiert, die alleinige Uraufführung der Operette mit dem derzeitigen Titel "Märchen in Nervi" in der Spielzeit 1941/42 am Tiroler Landestheater Innsbruck herauszubringen. Hiefür könnte ich eine Materialleihgebühr von RM 150,- und eine Autorentantieme von 8% gewähren. Die Tantieme würde sich auf 10% erhöhen, wenn sich herausstellt, dass für die Aufführungen keine besonderen kostümlichen oder dekorativen Neuanschaffungen notwendig sind.

Grundbedingung für die Annahme ist die textliche Umarbeitung, während auf eine musikalische Umarbeitung verzichtet wird. Der Text müsste 1. entsentimentalisiert werden, 2. mit mehr Humor gewürzt werden, und 3. dramaturgisch im Hinblick auf die szenische Gestaltung enger geschürzt werden, d. h. es darf nicht immer ein Paar auftreten, während das andere abgeht.

Zu einer Bearbeitung durch meinen ehemaligen Dramaturgen Herrn Eckert gebe ich mein Einverständnis.

Heil Hitler!
M. A. Pfugmacher, Intendant

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 993)

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1941, 5. August - 4. November
Briefe von Alfred Bierschwale
Künstler-Sekretariat, Berlin-Charlottenburg 1, Kaiser-Friedrich-Str. 3a
an Karl Senn

Alfed Bierschwale hatte sich als Leiter seiner Berliner Künstleragentur schon in den Zeiten der Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten ab Mitte der dreißiger Jahre um die Aufführung von Werken Tiroler Komponisten in Deutschland bemüht und verdient gemacht. Mit Karl Senn blieb er auch nach dem Zweiten Weltkrieg in freundschaftlichem Kontakt, wie dies zahlreiche Briefe erweisen.


Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 5. August 1941

Mein lieber Carl!

Nach meiner Heimkehr nach Berlin ist es mir ein Herzensbedürfnis, Dir und Deiner lieben Gattin für die herzliche Aufnahme, die ich in Eurem zauberhaften Heim gefunden habe, meinen aufrichtigsten Dank zu sagen. Mit der Erinnerung an meinen ersten Besuch der landschaftlich zauberhaft gelegenen Stadt Innsbruck wird stets das Bewusstsein verbunden sein, in Dir und Deiner lieben Gattin wertvolle Freunde für das ganze Leben gefunden zu haben. Dieser Gedanke gibt mir in der heute oft so unpersönlichen Zeit die innere Kraft, meine oft nicht leichten Aufgaben zu lösen.

In Salzburg hatte ich mit dem Direktor und Generalsekretär des Mozarteums, den Herren Dr. [Eberhard] Preussner und Dr. [Erich] Valentin recht erfolgreiche Verhandlungen, nach deren Beendigung ich Salzburg sofort wieder verlassen habe, da es dort in Strömen goss. Allerdings habe ich vorher noch dem Geburtshaus Mozarts einen Besuch abgestattet. Bereits am Morgen des 1. August war ich wieder daheim, von meinem Mütterlein und meiner Tante freudig begrüßt. In der Nacht vom Samstag Sonntag erlebte ich hier den ersten Fliegerangriff wieder, der leider in den Vororten Berlins 25 Todesopfer erforderte.

In Salzburg habe ich mich übrigens nicht mit Herrn [Friedrich Karl] Grafen von Gessler [-Schoffschütz, Pianist] getroffen, da mir dieser inzwischen mitteilte, dass er ohnehin Mitte August nach Berlin komme. Den Eingang Deiner Klaviersonate hat mir der Künstler übrigens bereits bestätigt. Sobald er nach hier kommt, werde ich mit ihm über dein Werk sprechen. Heute habe ich schon den Spielleiter der Operette vom Stadttheater Tilsit, Herrn Heinz Hill-Tanner, auf die kommende Aufführung Deiner Operette in Innsbruck aufmerksam gemacht. Verständige mich doch bitte sofort, wenn die textliche Überarbeitung des Werkes fertiggestellt ist. Am besten wäre es ja, wenn ich je ein Textbuch und einen Klavierauszug sofort erhalten könnte, um mich hier mit dem Verleger Herrn Rudolf Eichmann in Verbindung zu setzen.

Ausserdem versprachst Du mir ja ein Verzeichnis Deiner Werke mit der Angabe der Aufführungsdauer zu übersenden.

Einen Brief an Herrn Musikdirektor Weidlich werde ich Dir in den nächsten Tagen übersenden, sobald ich neues Prospektmaterial für Fräulein [Branka?] Musulin [die Pianistin?] habe.

Für heute schliesse ich mit herzlichen Grüßen an Dich und Deine liebe Gattin als Dein getreuer
Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 942)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 4. November 1941

Mein lieber Freund Karl!

Entschuldige bitte, dass ich Dir erst heute auf Deine lieben Zeilen vom 11. und 20. Oktober antworte. Nimm zunächst herzlichen Dank für Deine Zeilen. Du hast scheinbar Herrn Grafen v[on] Gessler Dein Notenmaterial nach Oberbayern gesandt, wo er nur im Sommer zur Kur weilte. Seine ständige Anschrift ist: Friedrich Karl Graf von Gessler, Schoffschütz O[ber-] S[chlesien]. Übrigens erhielt ich gerade heute von ihm die Mitteilung, dass er morgen früh zu kurzem Aufenthalt in Berlin eintrifft.

Gesundheitlich geht es mir unverändert gut, was ich auch von Dir und Deiner lieben Gattin hoffe. Seit gestern morgen ist Berlin in eine Winterlandschaft verwandelt worden. Leider hält sich das schöne Bild in der Grosstadt nur kurze Zeit. Ihr werdet im schönen Tirol wahrscheinlich viel länger Freude an der herrlichen Winterlandschaft haben. Wahrscheinlich wirst Du es noch nicht wissen, dass die Gattin von Herrn G[eneral] M[usik] D[irektor Karl] Friderich am 5. Oktober in Heidelberg gestorben ist. Scheinbar hat das schwere Herzleiden sich auch nicht durch den Aufenthalt in den Bergen beseitigen lassen. Für Herrn Friderich ist dieser Verlust sehr schmerzlich, da Beide wirklich ein harmonisches Eheleben führten.

Ausserdem wird es dich interessieren, dass Frau Wirthensohn, die Du damals in Innsbruck durch mich kennen lerntest, mit Frau Müthel gemeinsam am 1. November eine Wehrmachtstournée durch den Gau Ost-Hannover angetreten hat. Auch Herr Hahnenfurth besuchte mich kürzlich in Berlin. Ihm geht es ausgezeichnet und er lässt Dich recht herzlich grüssen.

Aus deinem Brief vom 11. 10. ersah ich, dass das Landestheater Innsbruck das "Märchen von Nervi" auf die nächste Saison verschoben hat. Dafür soll also Deine musikalische Komödie "Hans Wurst" zur Aufführung gelangen. Sobald du den genauen Uraufführungstermin für Februar oder März 1942 weißt, verständige mich doch bitte, damit ich meine Reisedispositionen entsprechend treffen kann. Ich würde zu gerne der Taufe Deines Werkes beiwohnen. Am 12. 10. [1941] erlebte ich in Magdeburg die Erstaufführung der neuen Oper von Ottmar Gerster "Die Hexe von Passau", die auf mich einen ganz ausgezeichneten Eindruck gemacht hat. Das Werk ist orchestral und chorisch noch stärker als seine zweite Oper "Enoch Arden".

Übrigens habe ich von Herrn Direktor Weidlich auf meinen ausführlichen Brief keine Nachricht erhalten. Vielleicht bist Du gelegentlich einmal so gut, mit ihm darüber zu sprechen.

Gleichzeitig überreiche ich Dir in der Anlage einige Gedichte der jungen deutschen Lyrikerin, Fräulein Elga Metzeltin. Vielleicht regt das eine oder andere Gedicht dich zur Komposition an. Von Fräulein Metzeltin hat bisher der bekannte Berliner Liederkomponist, Herr Rich[ard] Wintzer, 10 Lieder vertont, die bereits mit grossem Erfolg in den Berliner Konzertsälen gesungen werden.

Für heute grüsse ich Dich und Deine liebe Gattin auf das allerherzlichste.

Heil Hitler!
Dein getreuer Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 943)

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1942, 30. April - Innsbruck
Tiroler Landestheater

VIII. Symphoniekonzert
Karl Senn

1. Satz Schwur aus der symphonischen Suite 1809 nach Bildern von Albin Egger-Lienz op. 101

Riccardo Zandonai
Concerto romantico für Violine und Orchester

Antonín Dvo ák
Symphonie, e-Moll "Aus der neuen Welt"



Besprechung des Konzert vom 30. April 1942
in den Innsbrucker Nachrichten vom 5. 5. 1942
Von Albert Riester

Im VIII. Symphoniekonzert am 30. April im Tiroler Landestheater unter der Stabführung von Musikdirektor Fritz Weidlich wurde die begrüßenswerte Bestrebung, das Schaffen zeitgenössischer Tondichter der Heimat bekanntzumachen, mit einem Werk von Karl Senn, dem Altmeister der Tiroler Komponisten, fortgesetzt. Wir hörten den ersten Satz "Schwur", aus der symphonischen Suite "1809" nach Bildern von Albin Egger-Lienz, Werk 101.

Der Weg, Werke der darstellenden Kunst von der Musik her auszudeuten, ist oft beschritten worden und weist berühmtgewordene Beispiele auf. Reiche Möglichkeiten und Anreize bieten sich dem in die Breite arbeitenden Musiker, die Ideen der Meister des Pinsels und des Meißels, die nur Momente aus dem Geschehen herausgreifen, weiterzudenken und zu Ende zu führen. Auch Karl Senn hat diesen Weg beschritten und als Vorwurf die großartigen Werke unseres Tiroler Malers Albin Egger-Lienz gewählt. Darüber hinaus entschied sich Senn für jene Bilder, die im Zusammenhang mit der ruhmreichen Geschichte unserer Tiroler Heimat im Jahre 1809 stehen.

Die Idee zu dieser Tonschöpfung entwickelte Karl Senn im Jahre 1922 in Wien bei einem Zusammentreffen mit Meister Egger, der daran den lebhaftesten Anteil nahm. Im Jahre 1932 [richtig 1937/38] schuf Senn seine dreiteilige symphonische Suite "1809" mit den Sätzen "Schwur", "Nach der Schlacht am Berg Isel" [Originaltitel: "Ave Maria (!) nach der Schlacht am Bergisel ] und "Totentanz". Daß Senn ein großer symphonischer Wurf gelungen war, bewies der 1940 uraufgeführte grandiose und zutiefst aufwühlende "Totentanz". Vergangenen Donnerstag hörten wir die Uraufführung des 1. Satzes "Schwur". Das Bild Eggers zeigt den Tiroler Freiheitshelden Speckbacher mit der Fahne Tirols, umgeben von seinen Getreuen.

Senn erweitert die Idee des Malers und lässt ganz Tirol zum Schwur antreten. Ein Kampfruf der Hörner, der von den Trompeten übernommen wird, leitet das musikalische Geschehen ein und taucht immer wieder auf. Rhythmisierte Streicherfiguren lassen das Zusammenströmen der Männer vermuten. Kontrapunktierende Gegenthemen künden von verschiedenen Meinungen. Ein lyrisches Zwischenspiel von wunderbarer Zartheit, das von den Holzbläsern eingeleitet und dann von den Streichern übernommen wird, wird gestört von "Elementen, die die Einigkeit verhindern wollen". Schließlich siegt in strahlender Steigerung der Kampfruf, die Einigkeit ist errungen und die Treue zur Heimat verbindet in heiligem Schwur die Männer unter der Fahne.

Trotzdem die Aufführung dieses Werkes einen großen Orchesterapparat und eine sorgfältige, auch geistige Vorbereitung der Ausführenden erfordert, war Fritz Weidlich mit sichtlicher Hingebung am Werk, so daß wir immerhin die Gedankentiefe der Komposition ahnen konnten. Sehr begrüßen würden wir die einheitliche Gesamtaufführung der Suite, deren erster Satz ja das kommende symphonische Geschehen vorbereitet und nicht ohne weiteres aus dem Gepräge des Ganzen herausgenommen werden kann.

Das zweite Werk des Abends war das "Concerto romantico" für Violine und Orchester von Riccardo Zandonai [...].

Unser Konzertmeister Roman Wisata, durch zahlreiche Konzerte in den Hauptstädten Europas und durch seine jüngsten Konzertreisen zur Wehrmachtbetreuung als hervorragender Geiger bekannt, spielte den Solopart in ganz unübertrefflicher Weise. Schlackenlos im Technischen, blühend in der Kantilene und voll tiefen Eindringens in das heldisch-dramatische und schwärmerische Geschehen des Werkes, erspielte er sich mit Recht einen stürmisch bejubelten Erfolg. Weidlich begleitete mit symphonischem Feingefühl und das Landes-Symphonieorchester war mit sichtlicher Liebe bei der Arbeit.

Eine bis ins letzte ausgefeilte Aufführung der prächtigen 5. Symphonie in e-moll von Anton Dvorak, in der sich Musikdirektor Weidlich wieder als meisterhafter Gestalter slawischer Musik bewährte, beschloß den interessanten symphonischen Abend. Dirigent und Orchester wurden stürmisch gefeiert.


Karl Senns Gesamtwerk 1809 mit allen drei Sätzen wurde 1951 in einem RAVAG-Konzert unter dem Dirigenten Herbert Häfner aufgeführt. Das Institut für Tiroler Musikforschung hat Karl Senn im August 2011 eine Personale gewidmet, bei der neben anderen Orchesterwerken alle drei Sätze der Suite 1809 aufgeführt und auf CD dokumentiert wurden (Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 83, Innsbruck: ITMf 2011).

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1942 - Wien: Harfenkonzert und Tiroler Reigen?

Verhandlungen zur Aufführung (Sendung) des Harfenkonzerts und der

Tiroler Reigen

Schreiben von Ernst Ludwig Uray, Reichssender Wien, an Karl Senn vom 9. Oktober 1942

Sehr geehrter Herr Professor!

Ihr "Harfen-Konzert" interessiert mich lebhaft und ich bitte Sie, mir die Partitur hiervon zur unverbindlichen Ansicht einzuschicken. Ich will versuchen, das Werk irgendwie unterzubringen; ebenfalls erbitte ich Ihre "Fünf Tiroler Reigen".
Besten Dank!

Heil Hitler
Ihr erg[ebener] Ernst Ludwig Uray

(Literarischer Nachlass Karl Senn, s. o. Nr. 853)

Rücksendung der beiden Partituren mit Brief vom 23. März 1943, s. u.

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1942, 28. August - 4. Dezember
Briefe von Alfred Bierschwale
Künstler-Sekretariat, Berlin-Charlottenburg 1, Kaiser-Friedrich-Str. 3a
an Karl Senn

Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 28. August 1942

Lieber Freund Karl!

Deine lieben Zeilen vom 20. d[ieses] M[onats] nebst Notenmaterial habe ich mit aufrichtigem Dank erhalten. In Salzburg hatten wir vier wundervolle Sommertage, so dass wir neben meinen wichtigen Verhandlungen uns auch ein wenig auf dem Mönchsberg erholen konnten. In Wien war uns der Wettergott ebenfalls hold. Die Heimfahrt ging im Schlafwagen ganz ausgezeichnet vonstatten. Ich habe es wirklich sehr bedauert, dass Innsbruck so verregnete, so dass Fräulein [Elga] Metzeltin gar keinen Eindruck von der landschaftlichen Schönheit Innsbruck's bekam.

Der ostmärkische Abend der "Tonkunst" wird voraussichtlich am 23. oder 30. 1. [19]43 stattfinden. Er wird besonders im Zeichen der Feier deines 65. Geburtstages stehen. Fräulein Metzeltin ist von deinen Liedern aufrichtig begeistert. Die Fotokopien habe ich heute bereits erhalten und sende dir in der Anlage die Originale Deines Liedes "Waldweg im Schnee" und der Toccata für Klavier zurück. Ausserdem erhältst Du von Deinem Liede eine Fotokopie; eine Fotokopie habe ich zu Propagandazwecken bei mir behalten, während Fräulein Metzeltin die restlichen vier Kopien bekommen hat. Von der Toccata erhältst Du vier Fotokopien, eine habe ich für Herrn [Friedrich Karl] Grafen v[on] Gessler [-Schoffschütz] behalten, die andere hat Fräulein Metzeltin für den ostmärkischen Kompositionsabend. Gleichzeitig füge ich dir die Rechnung der Firma Hans Schröder & Co. bei und bitte Dich herrlichst, mit Albert [Riester] die anteiligen Beträge für Euch Beide zu errechnen und den Betrag recht bald der Firma einzusenden.

Fräulein Metzeltin und ich werden Beide alles daran setzen, Deinem kompositorischen Schaffen in Berlin und im Reich den wohlverdienten Widerhall zu erkämpfen. Es tat uns aufrichtig leid, während unseres Aufenthaltes in Innsbruck Deine liebe Gattin nicht begrüssen zu können. Dir selbst nochmals aufrichtig Dank für alle Deine Mühe um uns während unseres dortigen Aufenthalts. Euch beiden aber herzlichste Grüße
Deines Freundes Alfred.

Anlagen!
N. B. In Innsbruck vergass ich ganz, Dir zu sagen, dass Deine Landsmännin, Frau Blanca Flür, seit einiger Zeit mit Fräulein Metzeltin arbeitet und in Zukunft auch ihre Liederabende mit ihr als Begleiterin durchzuführen gedenkt. Fräulein Metzeltin hat Frau Flür Deine Lieder gezeigt, die die Sängerin so begeisterten, dass sie in ihrem nächsten Konzert einige davon zu singen beabsichtigt. Sie wird Dir darüber noch persönlich schreiben. Weitere Aktionen für dich starten.
Herzlichst Dein Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 945)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 16. Oktober 1942

Lieber Freund Karl!

Über Deine lieben Zeilen vom 7. d[ieses] M[onats] war ich freudig überrascht, hatte ich doch nicht zu hoffen gewagt, so schnell wieder ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten. Auf meinen heutigen Brief hoffe ich aber noch wesentlich schneller Antwort von Dir zu bekommen. Nachdem ich nämlich mit Frl. [Elga] Metzeltin von erfolgreichen Verhandlungen aus Schlesien gestern zurückgekehrt bin, habe ich Dir die erfreuliche Mitteilung zu machen, dass im Stadttheater Liegnitz am Sonntag, dem 7. Februar 1943 eine Morgenfeier stattfindet, in der Frl. Metzeltin eigene Lyrik liest. Im musikalischen Rahmenprogramm wird die ausgezeichnete Altistin Frl. Christa Walter, von der Dichterin begleitet, eine Gruppe Deiner Lieder zu Ehren Deines 65. Geburtstages singen. Diese Sängerin wird auch an ihrem 2. Berliner Liederabend im Frühjahr 1943 Deine Altlieder bringen.

Gleichzeitig haben Frl. Metzeltin und ich uns entschlossen, im Rahmen unseres 2. Abends "Zeitgenössische Lyrik in Wort und Ton", der am 3. Dezember [1942] im Meistersaal zu Berlin stattfindet, eine Gruppe Deiner Lieder zu bringen. Selbstverständlich bleibt auch das Hauskonzert der Tonkunst am 30 Januar 1943 bestehen. Um uns für unsere Pläne das notwendige Rüstzeug zu geben, bitte ich dich, umgehend Frl. Metzeltin die tiefe Ausgabe Deiner Lieder "Osterlied" und "Glockenlied" zu schicken. Solltest Du von den in ihren Händen befindlichen Sopranliedern weitere tiefe Ausgaben besitzen, so bittet sie Dich, auch diese umgehend zur Verfügung zu stellen. Ausserden benötigt sie dringend Doppelexemplare sämtlicher Lieder.

Am 22. Oktober kommt Herr Graf von Gessler anlässlich seines Berliner Klavierabends nach hier; ich werde dann ausführlich mit ihm über dein Klavierkonzert sprechen.

Vom 6.-8. November [1942] bin ich in Breslau und werde dann nicht versäumen, Herrn Hahnenfurth Deine Lieder zu entziehen, damit wir sie für Dich nutzbringender verwerten können.

Frl. Metzeltin wird mit Frau [Blanca] Flür die Auswahl Deiner Lieder durchsprechen. Ich selbst werde der Sängerin gern in deinem Sinne wegen eines Tiroler Komponistenabends weitere Anregungen geben.

Mit grossem Interesse las ich auch Deinen interessanten Bericht über die ersten diesjährigen Saisonergebnisse in Innsbruck. Hoffentlich haben wir recht bald Gelegenheit, uns darüber persönlich auszusprechen.

Für heute sende ich Dir und Deiner lieben Gattin von Frl. Metzeltin und mir die allerherzlichsten Grüsse.
Stets Dein getreuer Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 946)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 3. November 1942

Lieber Freund Karl!

Nimm meinen aufrichtigen Dank für Deine lieben Zeilen vom 20. Oktober, aus denen ich ersehen habe, dass es dir gesundheitlich unverändert gut geht. Zürne mir nicht, wenn ich anlässlich deines 65. Geburtstages am 31. Januar [1943] die Reklametrommel für dich schlage. Es ist propagandistisch für dich zweifelsohne ein sehr guter Ausgangspunkt, zumal Du ja wirklich von einer geistigen und körperlichen Frische bist, die bei niemandem, der Dich persönlich kennt, dieses Alter annehmen lässt. Ich hoffe vielmehr, dass Du noch mindestens 15 Schaffensjahre vor Dir haben wirst, um dann bis zum 100. Lebensjahre in Musse von der Fülle der Dir zufallenden Tantiemen zu leben.

Nachdem nunmehr für den 3. Dezember Einladungskarten im Druck vorliegen, überreiche ich Dir in der Anlage 5 Stück und bitte, doch Deine Berliner Freunde auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen. Vielleicht kannst Du auch die Münchner und Innsbrucker Presse veranlassen, ihre Berliner Korrespondenten zu diesem Abend zu entsenden. Auf Wunsch stehen dir auch weitere Einladungskarten gern zur Verfügung. Herrlich wäre es natürlich, wenn Du an diesem Abend persönlich in Berlin anwesend sein könntest. Abgesehen von der persönlichen Freude, die Du Fräulein Metzeltin und mir bereiten würdest, wäre es vielleicht auch beruflich für Dich nicht unwichtig, einmal mit den massgebenden Herrschaften Berlins wieder persönlich Kontakt zu bekommen.

Am Freitag starte ich also nach Breslau und werde nicht versäumen, auch Herrn Hannenfurth [sic] in Deinem Sinne zu verarzten.

Dir und Deiner lieben Gattin von Fräulein Metzeltin und mir die allerherzlichsten Grüsse.
Heil Hitler!
Dein Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 947)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 4. Dezember 1942

Mein lieber Karl!

Gestern früh hast Du hoffentlich die Vortragsfolge der gestrigen Veranstaltung erhalten, um im Geiste am Abend die Aufführung Deiner Lieder zu verfolgen. Leider hat sich trotz der von mir vorgenommenen Lesung der Korrektur der Druckfehlerteufel Deines Geburtsdatums bemächtigt und Dich um 5 Jahre verjüngt, was ich gütigst zu entschuldigen bitte, obwohl ich annehme, dass Du ihm darob nicht zürnst. Er scheint eben deine Vitalität genau zu kennen. Diese Einleitung vorausgeschickt, habe ich die Freude, Dir zu berichten, dass Deine Lieder großen Beifall gefunden haben. Es wird also hoffentlich nicht das erste Mal sein, dass sie in Berlin und im Altreich erklungen sind. Ich hoffe im Jänner und Februar 1943 noch zu wiederholten Malen Gelegenheit zu haben, diese Lieder erklingen zu lassen.

Frl. Metzeltin, die Dich recht herzlich grüssen lässt, war Deinen Liedern eine ideale Interpretin und wartet nunmehr auf Deine Vertonungen ihrer Gedichte, um sie recht bald zur Uraufführung zu bringen.

Leider wird es mir nicht möglich sein, der Uraufführung Deiner Operette in Innsbruck beizuwohnen, wenn diese am 6. Februar [1943] stattfinden sollte. Ich habe nämlich Anfang Februar wichtige Veranstaltungen in Berlin und Schlesien. Da aber in den ersten Monaten des neuen Jahres auf Anregung unseres Freundes Trompeter in Innsbruck bzw. in Tirol einige Veranstaltungen mit Frl. Metzeltin durchgeführt werden sollen, würde ich dann versuchen, mit heranzukommen, in der Hoffnung, dass zu diesem Zeitpunkt dann noch Deine Operette läuft.

Heut[e] möchte ich Dir mit Deiner lieben Gattin bereits zum nahenden Weihnachtsfest und zur Jahreswende Frl. Metzeltin"s und meine aufrichtigen Glückwünsche übersenden.

Mit herzlichsten Grüssen schliesse ich als
Dein getreuer Freund Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 948)

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1943 - Wien: Harfenkonzert und Tiroler Reigen Absage

Absage der Aufführung (Sendung) von Senns Harfenkonzert und Tiroler Reigen

Schreiben von [...?], Reichssender Wien, an Karl Senn vom 23. März 1943
Sehr geehrter Herr Professor!

Wir erlauben uns Ihnen heute aus Sicherheitsgründen die beiden Partituren:

"Musik für Harfe und Streicher" und "Tiroler Reigen" zurückzustellen. Die Werke wurden hier vorgemerkt, doch ist eine Einteilung im Augenblick leider unmöglich. Wir werden, wenn die Programmgestaltung es ermöglicht, darauf zurückkommen und sind mit
Heil Hitler!
[...?, handschriftlicher Namenszug]

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 853)


Das Stück Tiroler Reigen. Fünf Sätze für Orchester op. 99 von Karl Senn wurde dann noch tatsächlich vom Wiener Rundfunk nach dem Zweiten Weltkrieg im März 1953 aufgenommen. Es spielte das Große Orchester des Österreichischen Rundfunks unter dem Dirigenten Max Schönherr. Diese Aufnahme ist erhalten und auf der CD Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 80 (Innsbruck: Institut für Tiroler Musikforschung 2011) sichergestellt.

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1943, 23. Jänner - 24. November
Briefe von Alfred Bierschwale
Künstler-Sekretariat, Berlin-Charlottenburg 1, Kaiser-Friedrich-Str. 3a
an Karl Senn

Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 23. Januar 1943

Mein lieber Freund Karl!

Empfange zu deinem 65. Geburtstage am 31. Januar meine aufrichtigsten Glück- und Segenswünsche. Möge der Herrgott Dir auch fernerhin in ständiger Gesundheit Deine ungebrochene Schaffenskraft erhalten. Möge die Aufführungsziffer Deiner Werke in den kommenden Jahren in ungeahntem Umfange ansteigen. Mögen die Tantiemen astronomische Zahlen annehmen!

In Kattowitz und Schwientochlowitz haben Deine Altlieder, von Fräulein Christa Walter ausgezeichnet vorgetragen und von Fräulein Metzeltin wundervoll begleitet, einen starken Erfolg gehabt. Die Vortagsfolgen beider Veranstaltungen füge ich dir zur Orientierung bei.

Am 7. Februar gelangen im Stadttheater Liegnitz, am 16. Februar in Primkenau und am 17. Februar in Sprottau vier Altlieder von Dir zur Aufführung. Wiederum sind beide Damen Deine Interpreten. Am 4. März wirst du dann wohl in Berlin uraufgeführt werden. Am 18. April wird voraussichtlich Gotenhafen folgen. Ich verspreche dir, in diesem Jahr noch intensiver den Kampf um Dein Schaffen fortzusetzen. Für die Uraufführung deiner Operette, die wohl am 6. Februar starten wird, wünsche ich Dir Hals- und Beinbruch! Es tut mir aufrichtig leid, ihr nicht beiwohnen zu können. Aber meine dienstlichen Aufgaben binden mich im Augenblick so stark an das Altreich, dass ich erst wieder zu einem späteren Zeitpunkt nach Innsbruck kommen kann. Hoffentlich geht es Dir und Deiner lieben Gattin gesundheitlich gut, was ich auch noch von mir sagen kann.

Nimm also für heute mit Deiner lieben Gattin meine herzlichsten Grüsse entgegen.
In steter Freundschaft Dein getreuer Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 949)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 5. Februar 1943

Mein lieber Freund Karl!

Soeben erhalte ich Deine lieben Zeilen vom 31. Januar und beeile mich, Dir recht herzlich zu danken. Ich stehe nämlich im Begriff nach Liegnitz abzureisen, wo ja am kommenden Sonntag im Stadttheater die Morgenfeier für Frl. [Elga] Metzeltzin stattfindet. Bei dieser Veranstaltung wird Frl. Christa Walter wiederum Deine Liedergruppe singen, die nunmehr auf meinen Wunsch durch das Lied "Waldweg im Schnee" erweitert wurde. In dieser erweiterten Form steigen Deine Lieder auch am 18. April in Gotenhafen, während am 16. und 17. Februar in Primkenau und Sprottau nur jeweils drei Lieder von Dir erklingen werden.

Heut[e] füge ich Dir aus die versehentlich zurückgebliebenen Vortagsfolgen von Kattowitz und Schwientochlowitz bei. Pressestimmen habe ich bisher von dort noch nicht erhalten. Ich habe sie heute gerade angemahnt.

Herr Hahnenfurth hat sich im Radio Breslau bereits bemüht, nachstehende Lieder von dir unterzubringen:

1. Hinter der alten Stadtmauer
2. Bettelglück
3. Vertröstung
4. Die roten Vogelbeeren,

aber man kann ihn dort nur zu einer Liederstunde einsetzen, wenn die Reichssendeleitung in Berlin die Genehmigung erteilt. Aus diesem Grunde habe ich mich nunmehr an Herrn Prof. Michael Raucheisen gewandt und ihn gebeten, dem Breslauer Rundfunk eine entsprechende Sendezeit einzuräumen. Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Bemühungen Erfolg haben würden.

Deine Nachricht über die Einberufung unseres lieben Freundes Albert [Riester] hat mich doch sehr getroffen. Hoffentlich gelingt es, ihn wieder für seine künstlerischen Aufgaben frei zu bekommen. Solltest Du demnächst seine militärische Anschrift erhalten, so bitte ich Dich, sie mir mitzuteilen, damit ich mich sofort mit ihm in Verbindung setzen kann. Hoffentlich verzögert sich die Aufführung Deiner Operette durch die textliche Überarbeitung nicht so stark, dass Dir wiederum eine Saison verloren geht.

Ich freue mich aufrichtig, dass Dir zu Deinem Geburtstage soviel Liebe entgegengebracht wurde. Sei versichert, dass ich von Berlin aus alles tun werde, um Deinem Schaffen den gebührenden Platz im deutschen Konzertleben zu sichern.

Für heut[e] grüsse ich Dich und Deine liebe Gattin auf das Herzlichste
Dein allzeit getreuer Freund Alfred.

Handschriftlicher Nachtrag:
Liegnitz war ein großer Erfolg. Anbei auch das Programm.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 950)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 20. Februar 1943 mit Nachtrag 22. Februar 1943

Mein lieber Freund Karl!

Hab" tausend Dank für Deine lieben Zeilen vom 16. Februar, aus denen ich ersehen habe, dass es Dir und Deiner lieben Frau gesundheitlich unverändert gut geht. In der Zwischenzeit wirst Du ja unseren gemeinsamen Kartengruss aus Sprottau erhalten haben. Heute sende ich Dir in der Anlage die Vortragsfolge, die für die Konzerte in Primkenau und Sprottau am 16. und 17. Februar galt. Ausserdem überreiche ich Dir in der Anlage einige Einladungen für den 4. März, an dem ja Deine neuen Lieder in Berlin zur Uraufführung gelangen. Solltest Du weitere Einladungskarten benötigen, stehen Dir diese auf Wunsch gern zur Verfügung. Es wäre zu schön, wenn du selbst dieser Veranstaltung beiwohnen könntest. Aber unter den heutigen Verhältnissen ist es natürlich für Dich sicherlich viel zu anstrengend, ganz abgesehen davon, dass auch Du mit Arbeit so überhäuft sein wirst, dass Du von Innsbruck kaum auf längere Zeit fernbleiben kannst.

Leider können wir die Lieder unseres Freundes Albert [Riester] am 4. März nicht zur Aufführung bringen, da das Notenmaterial zu spät eintraf. Ausserdem konnte er es nur in einem Exemplar senden, was die Schwierigkeiten erhöht hat, da auch Berlin im Augenblick keine Fotokopisten mehr hat. Daher wird Fräulein Christa Walter die Lieder im Rahmen ihres Liederabends im September uraufführen. Ich werde dem lieben Albert mit gleicher Post schreiben. Es tut mir ja so schrecklich leid, dass er so unerwartet aus seiner künstlerischen Arbeit gerissen wurde und es in Metz nicht gut getroffen hat. Vielleicht bekommt er nach Beendigung seiner Ausbildung einen anderen Standort, der ihm in jeder Beziehung mehr zusagt.

Trotz des nunmehr einsetzenden totalen Krieges gehen die künstlerischen Planungen für den nächsten Konzertwinter unverändert weiter. Ich hoffe, dann in wesentlich umfassenderem Maas[s]e für Dein Liedschaffen Einsatzmöglichkeiten zu haben. Schließlich ist es für mich eine selbstverständliche Freundespflicht, mich für Dein Schaffen einzusetzen, zumal ich von Deinen wirklich grossen kompositorischen Qualitäten überzeugt bin.

Leb für heute recht wohl und sei mit Deiner Lieben Frau auf das Allerherzlichste gegrüsst.
Dein getreuer Freund Alfred.



Maschinschriftlicher Nachtrag:
Berlin, den 22. Februar 1943

Mein lieber Freund Karl!

Gerade vor Absendung dieses Briefes erreichen mich einige Pressestimmen über die letzten Konzerte mit dem Programm "Lyrik in Wort und Ton". So schreibt die Niederschlesische Tageszeitung vom 8. Februar über die Veranstaltung in Liegnitz u. a.

.. und zum Schluss einige prächtige Kompositionen von Karl Senn ..,

während das Sprottauer Tageblatt unter dem 18. Februar über die Veranstaltung in Sprottau schreibt

.. Christa Walter beeindruckte mit ihrer äusserst kultivierten Altstimme, die den anspruchsvollen Liedkompositionen Karl Senns, Richard Wintzers und Richard Strauss" durch eine würdige Interpretation gerecht wurde ..

Herzlichst Dein Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 951)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 13. April 1943

Mein lieber Freund Karl!

Mit stillem Kummer stelle ich fest, dass ich seit Deinen lieben Zeilen vom 16. Februar ohne Nachricht von Dir geblieben bin. Hoffentlich hast Du meinen Bericht über Primkenau und Sprottau sowie unsere gemeinsamen Grüsse von dort erhalten. Inzwischen habe ich Dir allerdings wohl noch nicht über die erfolgreiche Uraufführung Deiner Lieder im Meistersaal zu Berlin berichtet. Das liegt allerdings daran, dass ich in den letzten Monaten fast ständig unterwegs war. Deine Lieder haben also wirklich einen schönen Erfolg gehabt, was auch in einigen Pressestimmen besonders zum Ausdruck kam.

Die Veranstaltung in Gotenhafen, die ursprünglich am 18. April starten sollte, ist auf den Monat Mai verschoben worden. Ueber den endgültigen Termin erhäl[t]st Du von mir noch Nachricht. Für den kommenden Winter sind wieder eine Reihe von Veranstaltungen mit Deinen Liedern geplant. Ich hoffe immer grössere Schichten des deutschen Konzertpublikums mit Deinem Liedgut vertraut machen zu können.

Heut[e] sende ich Dir in der Anlage eine Reihe der neuesten Dichtungen von Frl. [Elga] Metzeltin. Vielleicht regt Dich das eine oder andere Gedicht zur Komposition an.

Von unserem Freunde Albert [Riester] habe ich auf meinen letzten Brief seit längerer Zeit keine Nachricht. Ich wäre Dir daher sehr zu Dank verpflichtet, wenn Du mir mitteilen würdest, wie es ihm geht, und wo er sich gegenwärtig befindet.

Von meinem Freunde Arnold Trompeter wirst Du wohl schon gehört haben, dass er als Verwaltungsdirektor an das Stadttheater Mühlhausen im Elsass geht.


Wann wird endlich in Innsbruck Deine Operette starten?

Bisher bin ich noch von den Luftangriffen verschont geblieben und hoffe es mit Gottes Hilfe auch weiterhin zu bleiben. Ich würde mich sehr freuen, recht bald von Dir eine ausführliche Nachricht zu erhalten.

Heut[e] wünsche ich Dir und Deiner lieben Gattin ein echt frohes und gesundes Osterfest.

Mit allerherzlichsten Grüssen bin ich stets Dein getreuer Freund Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 952)



Die Berliner Uraufführung von Liedern Karl Senns am 4. März 1943 betraf die ersten drei Lieder von Opus 104
Sechs Lieder nach Gedichten von Elga Metzeltin für eine Singstimme und Klavier
1) Mondseligkeit
(komponiert am 6. Jänner 1943)
2)Ich fürchte nichts (komponiert am 12. Jänner 1943)
3)Im Frühling (komponiert am 12. Jänner 1943)

Die in Alfred Bierschwales Brief vom 13. April 1943 erwähnte Sendung von Gedichten Elga Metzeltins vertonte Karl Senn im Dezember 1943. Sie sind als Nr. 4 bis 6 in den Zyklus Opus 104 aufgenommen und wurden am 4. August 1946 im Innsbrucker Rundfunk uraufgeführt.
4)Am Abend (komponiert am 8. Dezember 1943)
5)Wie einst (komponiert am 11. Dezember 1943)
6)Heimkehr (komponiert am 13. Dezember 1943)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 31. August 1943

Mein lieber Freund Karl!

Seit deinen lieben Zeilen vom 22. 4. [1943] bin ich ohne jedes Lebenszeichen von Dir, sodass ich nicht einmal weiss, ob mein Brief vom 27. 4. Dich jemals erreicht hat. In der Zwischenzeit ist ein aussergewöhnliches Geschehen über uns dahingebraust, das uns des Bewusstseins von Zeit und Raum beraubte. Damals, als ich dir meinen letzten Brief schrieb, schmiedete ich noch schöne Ferienpläne für den Monat August. Ich wollte mit Fräulein [Elga] Metzeltin nach Salzburg fahren, aber dann trafen [richtig: traten] bereits Evakuierungsmassnahmen für Berlin in der Vordergrund, die es mir geboten erscheinen liessen, in Berlin zu bleiben, um meine Pflicht zu erfüllen. So weilte ich, nachdem ich meine Mutter und Tante aus Berlin entfernte, nur wenige Tage mit Fräulein Metzeltin in Hirschberg und Bad Warmbrunn. In Bad Warmbrunn las sie am 20. August im Rahmen eines Kammermusikabends eigene Lyrik. Am 21. August fuhren wir heim. Am 23. August erfolgte dann der schwere Terrorangriff auf Berlin, der Fräulein Metzeltin mit ihren Eltern das Heim nahm. Neben all den Dingen des täglichen Lebens wurde auch ihr kostbarer Flügel und ihr unersetzliches Notenmaterial ein Raub der Flammen. Nur Deine Manuskripte rettete sie, während Deine ihr gedruckt zur Verfügung gestellten Lieder ebenfalls verloren gegangen sind. Gegenwärtig ist sie mit ihren Eltern bei Bekannten untergebracht. Ihre Anschrift lautet: Berlin-Zehlendorf, Kleinstr. 17 bei Dr. Hans Hess.

Das Konzert in Gotenhafen soll nunmehr am 17., 18., oder 19. September stattfinden. Der genaue Termin wird mir noch in den nächsten Tagen bekannt gegeben werden. Vom 28. Juni bis 5. Juli folgte ich einer Einladung des Kroatischen Aussenministeriums nach Agram, wo ich wichtige Konzertverhandlungen führte. Gerade auf dem Gebiet des zeitgenössischen kompositorischen Schaffens habe ich für die Zukunft verheissungsvolle Fäden geknüpft, doch weiss natürlich niemand unter den obwaltenden Umständen, ob und in welchem Umfange sich diese Pläne verwirklichen lassen. Wie sieht es gegenwärtig in
Innsbruck aus? Ich würde mich sehr freuen, recht bald ein Lebenszeichen von Dir zu erhalten.

In der Hoffnung, dass es Dir und Deiner lieben Gattin gut geht, grüsse ich Dich zugleich im Namen von Fräulein Metzeltin auf das Herzlichste.

Heil Hitler!
Dein allzeit getreuer Freund Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 953)



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 23. Oktober 1943

Mein lieber Freund Karl!

Endlich komme ich dazu, Dir für Deinen lieben Brief vom 4. Oktober zu danken, aus dem ich zu meiner grossen Überraschung ersehen habe, dass auch Innsbruck in den letzten Wochen ständig Fliegeralarm hat. Möge der Herrgott Euch vor allen Dingen vor wirklichen Luftangriffen bewahren. Wenn ich an diese zauberhaften alten Fachwerkhäuser des schönen Innsbruck denke, dann packt mich ein gelindes Grausen, wenn ich daran denke, dass all dies eines Tages durch sinnlosen Terror vernichtet werden könnte. Berlin hat ja seit dem 3. September keinen Angriff mehr gehabt. Vereinzelte Alarme, hier und da auch ein Bombenabwurf, ohne jedoch nennenswerten Schaden zu verursachen. Das von mir angekündigte Konzert in Neustadt an der Orla ist vom 25. September auf den 5. Februar 1944 verlegt worden. Ihm schliesst sich am 6. Februar ein Konzert in Ohrdruff an. In beiden Veranstaltungen wird dann Fräulein Christa Walter Deine Lieder singen. Am 11. und 12. November [1943] wirkt Fräulein [Elga] Metzeltin als Begleiterin in Wien, wo sie am 11. November die ausgezeichnete junge Dresdner Sopranistin Fräulein Leonore Schlauf und am 12. November den bekannten Berliner Kontrabassisten Herrn Curt Wallner begleitet. Anschliessend wird sie mit der bekannten Berliner Sopranistin Frau Margarete Merian in Agram, Pressburg und Bukarest konzertieren. Ich selbst werde diese Gelegenheit benutzen, mich vom 11. bis 19. November in Wien zu wichtigen Verhandlungen aufzuhalten. Vielleicht führt Dich Dein Weg in dieser Zeit zufällig nach Wien. Dann würde ich mich aufrichtig freuen, Dich dort wiederzusehen. Ich wohne im Hotel "Imperial". Wegen Deiner Bearbeitung der Spieloper von Delibes "Der König hat"s gesagt" habe ich mich mit verschiedenen befreundeten Verlegern in Verbindung gesetzt und diese gebeten, sich einmal um die Beschaffung einer Originalpartitur zu bemühen. Ob diese Bemühungen Erfolg haben werden, kann ich Dir noch nicht versprechen. Auf jeden Fall existiert in Berlin noch eine gute Fotokopieranstalt, von der Du gegebenenfalls Klavierauszüge fotokopiert erhalten kannst.

Es interessiert mich, gelegentlich von Dir zu hören, ob Du der Uraufführung des Violinkonzerts von [Emil] Berlanda [am 7. Oktober 1943 im Stadtsaal Innsbruck] beigewohnt hast.

Für heut[e] Dir und Deiner lieben Gattin von Fräulein Metzeltin und mir herzlichste Grüsse
Dein getreuer Freund Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 954)

Von April bis November 1943 arbeitete Karl Senn an der Operette in drei Aufzügen Der Papagei der Pompadour nach einem Text von Ilse Eccher-Schürer. Dieses Werk wurde "eingerichtet und bearbeitet nach der Spieloper von Léo Delibes" Der König hat's gesagt.
Über eine Aufführung ist derzeit nichts bekannt.
Die Operette steht als Opus 105 in Karl Senns Werkverzeichnis.



Alfred Bierschwale an Karl Senn, Berlin, 24. November 1943

Mein lieber Freund Karl!

Nach meiner Rückkehr aus Wien komme ich endlich dazu, Dir für Deine lieben Zeilen vom 4. November zu danken.

In der Zwischenzeit habe ich vom Verlag Bote & Bock beiliegenden Brief vom 17. November erhalten, den Du vielleicht am besten direkt beantwortest. Ich habe mit Herrn Radecke die Angelegenheit bereits persönlich besprochen und bin der festen Ueberzeugung, dass man Dir, soweit es eben technisch möglich ist, helfen wird.

In Wien hat Fräulein [Elga] Metzeltin in zwei Konzerten als Begleiterin wiederum schöne Erfolge erzielt. Anschliessend hatte sie am 18. November in Pressburg mit der bekannten Berliner Sopranistin Frau Margarete Merian eine erfolgreiche Radiosendung.

Gestern Abend hatte Berlin wohl seinen bisher schwersten Luftangriff zu überstehen. Bei ihm wurde wiederum Charlottenburg ausserordentlich schwer heimgesucht. In der Kaiser-Friedrich-Straße brennen noch jetzt um mich herum die Häuser. Mein Haus ist wie durch ein Wunder vom Himmel vorläufig noch verschont geblieben. Im Augenblick sind wir ohne telefonische Verbindung, ohne Gas und Wasser und elektisch[es] Licht. Der Strassenbahnverkehr ruht völlig, während U-Bahn und S-Bahn streckenweise verkehren.

Ich hege nur die eine Hoffnung, dass dieser furchtbare Terrorangriff nicht zuviel Menschenleben gefordert hat. Auf irdische Güter kann man schliesslich und endlich verzichten, wenn man sein Leben behält, um seine Aufgaben weiter durchführen zu können. Mein Wunsch für Dich und die Deinen ist der, dass Innsbruck vor jedem Angriff für heut[e] und für alle Zukunft verschont bleibt.

Mögen meine Zeilen Dich und Deine liebe Gattin bei bester Gesundheit erreichen und mögest Du mir recht bald wieder Nachricht geben.
Dein Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 955)

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1944, 11. April
Brief von Alfred Bierschwale
Künstler-Sekretariat, Berlin-Charlottenburg 1, Kaiser-Friedrich-Str. 3a
an Karl Senn

Mein lieber Freund Karl!

Nimm meine aufrichtigsten Dank für Deinen lieben Brief vom 5. April, den ich bei bester Gesundheit erhalten habe. Deinen Brief vom 25. Februar habe ich nicht bekommen, sondern erst aus dem jetzigen Brief ersehen, dass Du bereits seit längerer Zeit mit Deiner Frau nach Innsbruck zurückgekehrt bist. Wenigstens habt ihr dort in letzter Zeit keine Angriffe mehr gehabt. Aber auch ständige Alarme genügen vollkommen, um die Schaffenskraft jedes Einzelnen zu lähmen. Die Reichshauptstadt hat wieder einmal seit dem 24. März keinen Terrorangriff gehabt. Gelingt es aber den feindlichen Fliegern wieder, die Flak und die Jägersperren zu durchbrechen, so schlagen sie Berlin und seiner Bevölkerung immer wieder neue schwere Wunden. Wenn du heute Berlin wieder sehen würdest, so würdest du weinen, so grauenvoll wirken die Ruinenfelder, die Dir entgegenstarren. Aber mit dem Osterfest ist der Frühling ins Land gezogen und mildert unser Leid und pflanzt in unsere Herzen neue Hoffnung. Möge sich diese Hoffnung verwirklichen. Möge der neue Frühling uns dem langersehnten Frieden näher bringen.

Mit aufrichtigem Bedauern entnehme ich Deinen Zeilen, dass auch Deine Noten in Leipzig dem feindlichen Terror zum Opfer gefallen sind. So heisst es also mit dem vorhandenen Material besonders rationell umzugehen. Hab' also zunächst einmal für die übersandten Lieder "Am Abend"
und "Hinter der alten Stadtmauer" schönsten Dank. Ich werde alles mit Fräulein Metzeltin in Deinem Sinne besprechen. Meines Wissens befindet sich Dein Trio op. 75 [für Violine, Violoncello und Klavier, Uraufführung Wien 1934] und Deine Musik für Geige und Klavier [op. 90, Uraufführung München 1935] noch in meinem Archiv. Wegen Deines Klavierkonzertes werde ich Herrn [Friedrich Karl] Grafen von Gessler Grafen von Gessler [-Schoffschütz] schreiben.

Bleibe mir mit Deiner lieben Gattin recht gesund und empfange mit ihr von Fräulein Metzeltin und mir die allerherzlichsten Grüsse
Dein getreuer Freund Alfred.

(Literarischer Nachlass Karl Senn, wie oben, Nr. 956)