Vorbemerkung

Diese Präsentation dient der sukzessiven Erschließung von Leben und Werk der Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten während der Zeit des Nationalsozialismus. Ein solches Projekt ist ein aufwändiges Unternehmen, das erst allmählich klare Gestalt annehmen kann. Das Medium Internet bietet für die Dokumentation ideale Möglichkeiten fortwährender Ergänzung und Aktualisierung.

In einem ersten Schritt wurde 2012 versucht, anhand von Primärquellen wie Musikhandschriften, Musikdrucken, Konzertprogrammen, autobiographischen Notizen oder zeitgenössischen Aufführungsberichten den Werkbestand der betreffenden Komponisten erstmals systematisch zu eruieren. Dabei erwies sich die Mitarbeit von Nachfahren mancher Komponisten als unentbehrliche Hilfe, die auch bereitwillig geleistet wurde.

Dieser Quellenfundus, der zum Teil in der Zeit des Nationalsozialismus entstand und zum Teil bereits zuvor, dem jedoch erst in dieser fragwürdigen Periode öffentlichkeitsrelevante Facetten zukamen, wurde in sorgfältiger Arbeitsweise erschlossen und dokumentiert, soweit bisher durchführbar.

Generell ist Kultur ein fundamentaler Träger jeglicher Ideologie. Es ist selbstverständlich, dass sich die Nationalsozialisten der Kultur im umfassenden Sinn bemächtigt haben. Alle Institutionen wie das Theater, der Konzertsaal, die Museen, das Kino oder etwa die Volksbühne wurden für die Manifestation der Partei-Ideologie gezielt genützt. Dieses konsequente und rigorose Vorgehen betraf natürlich nicht nur die Institutionen an sich, sondern vor allem auch den Inhalt von Kultur.

Das wesentliche Element nationalsozialistischer Ideologie galt der Schaffung von Volksgemeinschaft. Die Gemeinschaft als Uniformität, unter Ausschluss jeglicher Individualität (vgl. „ein Volk, ein Reich, ein Führer“), ließ sich so mit einem umfassenden Führerprinzip nahezu widerspruchslos regieren, durch alle Lebensbereiche und alle Kulturinstanzen. Alles, was dieser ideologischen Prämisse dienen konnte, war Seele der Kultur: die gemeinsame Kleidung in der Tracht, die allgemeine Verständlichkeit der Kunstsprache in der Musik, in der Dichtung und Malerei, die herkömmliche Bauweise, die Verehrung der Identifikation stiftenden, heroischen Geschichte und Kultur, schließlich das überkommene Brauchtum, mit dem man die Macht einer ehrwürdigen Tradition bis hin zu den Ahnherren der Germanen glorifizierte und für das Gemeinschaftsbewusstsein als Ausdruck des “Artgemäßen” dienstbar machte.

In einem solcherart geprägten kulturellen Umfeld, wo das individuelle Schöpfertum getreu dem Grundsatz: “Du bist nichts, dein Volk ist alles!” weitgehend ausgeschaltet war und Mitglieder der intellektuellen Gesellschaftsschicht zu Kultursoldaten degradiert wurden, ist es aus heutiger Sicht ein komplexes Unterfangen, in ehrlicher Verantwortung eine unvoreingenommene Beurteilung der damals wirkenden Künstler zu finden.

Geschichte in all ihren Verzweigungen und Interdependenzen kann sachgerecht nur im Horizont der Phänomenologie eines spezifischen Zeitabschnittes interpretiert werden. Darum erscheint es uns notwendig, zuerst zum kompositorischen Werk der Komponisten inhaltlich zusammenhängende Beiträge zuzuordnen, möglichst in assoziativ schlüssigem Verfahren, fußend auf zeitgenössischen Berichten. Es ist substanziell, ein atmosphärisches Bild der damaligen Gegebenheiten in die konkreten Fakten zum Bestand der Kompositionen einzubeziehen, soweit dies geschehen kann. Dazu dienen grundlegend zeitgenössische Zeitungsberichte als aktuelle Schilderungen, mit denen sich eine Ideologie der Öffentlichkeit auch im Nachhinein präsentiert.

Gerade in einer Zeit, in der Propaganda zum wesentlichen Element des politischen Aktionismus gehörte, erscheinen Zeitungsberichte aus dem Alltagsleben als aussagekräftigere und potenziellere Informationsquellen als zum Beispiel primär für einen bestimmten internen Gebrauch erfolgte, trockene Niederschriften, die sich in öffentlichen Archiven erhalten haben.

Klarerweise setzt der Umgang mit solchen meist parteikonformen Informationen in einer Zeitung den kritischen Blick des Wissenschaftlers voraus. In weiterer Folge werden natürlich auch alle anderen erreichbaren Quellen in der jeweiligen Darstellung berücksichtigt.

Nach dem Beginn der Dokumentation im Sommer 2012 wurde nun in letzter Zeit die Recherche auf einen sehr breiten Kulturbereich ausgedehnt, der nicht nur unseren Schwerpunkt Musik, sondern auch Literatur und bildende Kunst, Film, Rundfunk, Denkmalpflege, Museumswesen, Bauvorhaben und viele Bereiche des Volkslebens mit einbezieht. Das hieraus entstehende „Mosaik des Kulturlebens im Überblick“ vermittelt eine effiziente Zusammenschau, die es ermöglicht, das künstlerische und gesellschaftliche Wirken dieser Komponisten gerechter zu beurteilen.  Offen ist, inwieweit eine solche Einschätzung schließlich überhaupt jemals endgültig sein kann. Moralische Standards sind Änderungen unterworfen, so dass jegliche Form von Analyse historischer Sachverhalte Ansichten und Taten mit dem jeweiligen Mentalitätsklima in Einklang zu bringen hat.

Unsere Arbeit geschieht in der Öffentlichkeit, wodurch jedem Interessenten anhand der mitgeteilten vielfältigen Quellen sein eigenes Urteil ermöglicht wird. Wir sind über jede Anregung dankbar, ebenso für jede zusätzliche Information, die weiterhilft, das Werk und die Zeit, in der diese Komponisten leben und schaffen mussten, besser zu verstehen.

Sachlich fundierte Statements können an die e-mail-Adresse des Instituts für Tiroler Musikforschung geschickt werden: itmf.ms@musikland-tirol.at.

Manfred Schneider

Work in progress

Start: 31.8.2012

Stand: 1.8.2015