Text von Paul Kinz

„Wehrbereit allezeit!“
Ein Jahr Arbeit im Standschützenverband
Von Obergemeinschaftsleiter Paul Kinz
In: Alpenheimat 1944. Familienkalender für Stadt und Land, Schriftleitung: Dr. Josef Scheidle, S. 59 ff.

Wenn über Entwicklungsabschnitte von Einrichtungen oder Arbeitsgebieten gesprochen wird, die von der Kraft der nationalsozialistischen Bewegung gesteuert und getragen werden, dann ist eine solche Darstellung stets eine Geschichte des Aufbaues und Aufschwunges. Dies gilt auch vom Standschützenverband Tirol-Vorarlberg, der, von Gauleiter Hofer im Jahre 1938 neu begründet, aufs engste der Partei angegliedert und ihren Hoheitsträgern als örtlichen Schützenleitern in allen Kreisen und Ortsgruppen des Gaues unmittelbar unterstellt, in der Zeit seines nunmehr fünfjährigen Bestehens nicht nur im äußeren Umfang, sondern auch in seinen Arbeitsergebnissen Erfolge ohnegleichen aufzuweisen hat. Diese Erfolgsreihe ist auch im vorigen Kriegsjahr nicht unterbrochen worden, sondern hat im Gegenteil gerade dieses Jahr die schönsten Früchte getragen; man kann sagen, daß vieles, woran jahrelang mühevoll gearbeitet wurde, trotz aller Schwierigkeiten der Kriegszeit in diesem Jahr erst richtig Form gewonnen hat und voll ausgereift ist. Das mag nicht zuletzt daran liegen, daß die in der Arbeit des Standschützenverbandes zum Ausdruck kommende Willensrichtung dem Geist unserer ernsten, kampferfüllten Zeit, in der jede Oberflächlichkeit der Lebensauffassung der Verachtung anheimfällt und ihrem Träger zum Unheil werden muß, ebenso entspricht wie der inneren Wesensart der Menschen in unserem Gau, die ihrem bergbäuerlichen Kern auch dann treu bleiben, wenn sich Freude und Frohsinn entfalten. Denn ein Abgleiten in platte Spielereien sagt ihnen nicht zu, ihre Freizeit widmen sie am liebsten der mannhaften Übung mit der Feuerwaffe, und selbst im Tanz und Spiel, im Lied und Gesang der Jugend und in der Freude am Farben- und Formenreichtum der Trachten schwingen die Ehrfurcht vor dem völkischen Wert alter Überlieferungen und das Bewußtsein der Verpflichtung, mit ihnen wertvollstes Volksgut zu erhalten und weiterzutragen, in voller Stärke mit.

Damit haben wir schon auf die Doppelseitigkeit des Arbeitsbereiches, den der Standschützenverband umfaßt, hingewiesen: einerseits die unmittelbar im Dienste der Wehrertüchtigung und wehrgeistige Erziehung stehende Waffenübung am Schießstand, andererseits die Pflege des gesamten Volksbrauchtums in allen seinen Formen. Es sei indessen auch an dieser Stelle neuerdings betont, daß diese beiden Aufgaben nur zwei verschiedene Erscheinungsformen einer durchaus einheitlichen und untrennbaren Sache sind, denn das Schießwesen, wie es hierzulande aufgefaßt und betrieben wird, ist selbst nichts anderes als altverwurzeltes Brauchtum und als solches die Grundlage aller brauchtümlichen Lebensgestaltung einschließlich des volkskünstlerischen Schaffens in jeder Form. Wir sehen hier im Volksbewußtsein von alters her eine Sinngebung verankert, die in erweitertem Rahmen im gegenwärtigen großdeutschen Freiheitskampf mit voller Deutlichkeit zu Tage tritt: die inneren Lebenswerte der Nation bedürfen des allzeit bereiten Schutzes durch Wehrkraft und Waffe gegen volksfremden Vernichtungswillen; im Waffenträger aber, der in der artgemäßen Gemeinschaft seines Volkes aufgeht, wird die Bereitschaft zum letzen Einsatz von der uneingeschränkten Erkenntnis getragen, daß diese Lebenswerte unersetzlich und jedes Opfers würdig sind. So ist es zu verstehen, daß über dem 6. Landesschießen 1943 das Leitwort stand: „Wehrbereit allezeit!“

Das alljährliche Landesschießen ist der Rechenschaftsbericht einer Jahresarbeit im Standschützenverband, die Aufwärtsentwicklung dieser Veranstaltungen daher der untrügliche Maßstab für den Arbeitserfolg, die Heranführung immer weiterer Volksschichten, die Vertiefung des grundsätzlichen Gedankengutes und nicht zuletzt auch des anerkennenden Verständnisses, das diese Bestrebungen und die Art ihrer Verwirklichung im ganzen Großdeutschen Reiche finden. Für den Zeitraum von 1942 auf 1943 verdeutlichen dies unter anderem folgende Zahlenvergleiche:

Die Dauer des Landesschießens wurde heuer von 9 auf 14 Tage verlängert. Nur dadurch war es möglich, die von 21.914 auf 30.432 gestiegene Zahl der aktiven Teilnehmer am Schießen organisatorisch zu bewältigen. In dieser Gesamtteilnehmerzahl, die der Zahl der Schützen am Kleinkaliberstand gleich ist, waren 13.259 (im Vorjahr 7513) Pistolenschützen und 7609 (im Vorjahr 4562) Schützen an den Weitständen enthalten; die Gesamtzahl der Schützen ist also um 39, die der Feuerschützen gar um 77 v[on] H[undert] gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Unter den Feuerschützen befanden sich im Vorjahr 278, heuer 985 Jungschützen; ihre Zahl ist gegen das Vorjahr um 255 v. H. gestiegen und betrug, um noch einen besonders aufschlußreichen Vergleich mit früheren Jahren heranzuziehen, genau gleich viel als im Jahre 1939 überhaupt Feuerschützen an die Weitstände getreten sind. – Mit nicht geringem Stolz haben wir vor zwei Jahren verzeichnet, daß die Zahl der beim Landesschießen abgegebenen Schüsse nahe an eine Million herankam; im Jahr 1942 wurde diese Zahl um etwa ein Drittel überschritten, und heuer wurden nicht weniger als 2,065.270 Schüsse abgegeben.

Wie unser Landesschießen in Großdeutschland eingeschätzt wird, zeigen am besten die Übersichten der auswärtigen Teilnehmer, deren Zahl vom Vorjahr auf heuer trotz der kriegsbedingten Erschwerung der Verkehrsverhältnisse einen gewaltigen Sprung fast auf das Doppelte gemacht hat. Dabei sind fast alle Gaue Großdeutschlands von Baden – Elsaß bis zum Warthegau und von Steiermark bis Hamburg vertreten; kaum ein Gau ist zu finden, aus dem nicht nach vereinzelten Zufallsbesuchern in den früheren Jahren nunmehr größere Gruppen anwesend waren; die Nachbargaue haben in mehrfacher Stärke ihre Schützen nach Innsbruck gesandt, so Salzburg mit 107, München-Oberbayern mit 436, Schwaben mit 112, Kärnten mit 55 Teilnehmern; vor allem aber konnten wir die Südtiroler, von denen im Vorjahr 229 Schützen gekommen waren, heuer in der beachtlichen Stärke von 519 Mann willkommen heißen.

Auch leistungsmäßig bedeutet das Landesschießen 1943 einen erheblichen Fortschritt, was am deutlichsten beim Erwerb des Gaumeisterschützenzeichens in Erscheinung tritt. Dieses Zeichen, das den Erwerb des Goldenen Meisterzeichens mit Eichenlaub mit drei Waffen (Kleinkaliber, Wehrmanngewehr und Pistole), demnach schon eine sehr hochstehende, mehrseitige Schießfertigkeit voraussetzt, erhielten im Vorjahr 1276, heuer 2189 Schützen; das ist ein Zuwachs von 72 v. H. Auch hier fallen wieder die Jungschützen besonders auf, denn vor zwei Jahren waren sie mit 45, im Vorjahr mit 70, heuer aber mit 200 Erwerbern dieser schönen Auszeichnung beteiligt. Als neue Auszeichnung wurde heuer erstmals das Sonderzeichen „Drei Jahre Gaumeisterschütze“ ausgegeben, und zwar an solche Schützen, die dreimal das Gaumeisterschützenzeichen erworben haben. Nicht weniger als 390 Schützen erfüllten die Voraussetzungen dafür. Als reizvolle Einzelheit kann dazu berichtet werden, daß neuen Frauen und Mädel, die im Vorjahr das Gaumeisterschützenzeichen zum zweitenmal erworben hatten, heuer vollzählig und pünktlich wieder zur Stelle waren und sich das Zeichen zum drittenmal holten.

Einen anderen Einblick in die allgemeine Leistungssteigerung gewinnen wir, wenn wir feststellen, daß im Vorjahr 5497, heuer aber 8210 Schützen 42 und mehr von 50 in der Fünferserie erreichbaren Kreisen auf der Kleinkaliberscheibe geschossen haben; 46 und mehr Kreise, also schon eine außergewöhnliche Leistung, erreichten im Vorjahr 2391, heuer fast doppelt so viel, nämlich 4579 Schützen. Auch vom Schießen mit dem Wehrmannsgewehr liegen ähnliche Vergleichsziffern vor: Im Jahre 1942 haben 1961, im heurigen Jahre aber 2543 Schützen 40 und mehr Kreise von 50 in der Fünferserie oder 112 von 150 in drei Fünferserien (Fünfzehnermeisterkarte) erreichbaren geschossen.

Zu allen Zeiten sind Schießveranstaltungen nach ihrer Ausstattung mit Ehren- und Geldpreisen beurteilt worden. Nachdem nun im Vorjahre 4184 Preise im Werte von 87.164 Reichsmark an erfolgreiche Schützen ausgefolgt wurden, hat das 6. Landesschießen 1943 auch in dieser Hinsicht mit 8428 Preisen im Gesamtwert von 164.911 Reichsmark wohl alle Schießen übertroffen, die je im deutschen Raum stattgefunden haben. Dabei handelte es sich in früheren Zieten um Veranstaltungen, die durch jahrzehntelange Zwischenräume getrennt waren, im Rahmen ganz besonderer Anlässe standen und als seltene Höhepunkte in der Geschichte des Schießwesens verzeichnet wurden, während das Landesschießen nun schon einer ständigen, man möchte fast sagen selbstverständlichen Einrichtung des Standschützenverbandes Tirol-Vorarlberg und zu einem Begriff, der untrennbar zu unserem Heimatgau gehört, geworden ist. Gerade dieser Umstand, dem die kriegsbedingten Schwierigkeiten noch besonderes Gewicht verleihen, kennzeichnet dieses Schießen als ernstzunehmende Leistungsprobe der Waffentüchtigkeit und als Kundgebung unbeugsamer, siegeswilliger Volkskraft unserer engeren Heimat.

Dieser keineswegs alle Einzelheiten, sondern nur die wichtigsten Tatsachen umfassende Überblick bedarf noch der Ergänzung durch die Feststellung, daß auch der kulturelle Arbeitsbereich des Standschützenverbandes in Verbindung mit dem 6. Landesschießen so kraftvoll in Erscheinung getreten ist wie nie zuvor. Eine ganze Reihe von Ausstellungen wurde in diesen Tagen gezeigt und hat die volkskulturellen Überlieferungen unserer Heimat, von den verschiedensten Seiten her betrachtet, vielen Tausenden von Besuchern unserer Heimat mit größter Anschaulichkeit vermittelt. Darüber hinaus haben insbesondere die Lehr- und Musterschau für bodenständige Wohnkultur, die Trachtenschau und die Ausstellung „Das Bauernhaus im Gau Tirol-Vorarlberg und seine Neugestaltung“ die praktische Auswertung dieses Überlieferungsgutes für die heutige Zeit und gegenwärtigen Lebenserfordernisse gezeigt und damit dargetan, daß die Pflege von Volkskunst und Volksbrauchtum im Standschützenverband sich keineswegs in der Art eines Museums auf die Bewahrung des Vergangenen beschränkt, sondern dieses für die heutige und zukünftige Lebensgestaltung der Gemeinschaft mit nachhaltigem Erfolg zur Auswirkung bringt. Dies gilt für die Erneuerung der Trachten ebenso wie für die Anwendung landschaftsgebundener Bauformen bei Bauernhäusern und die Innengestaltung von Wohnräumen, die neuzeitlichen Anforderungen entsprechen und doch die vertrauten Formen und die gediegenen Herstellungsgrundsätze altüberlieferten Handwerkskunst aufweisen.

Eine fast unübersehbare Reihe von Veranstaltungen heimatlichen Volksbrauchtums hat den Wochen des 6. Landesschießens ein ganz besonderes Gepräge gegeben. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungen standen die Volkskulturtage der Hitler-Jugend, die heuer erstmals stattgefunden und die weitgehende Erfassung der Jugend durch die volkskulturelle Arbeit des Standschützenverbandes ins hellste Licht gerückt haben. Wir möchten dieses starke Hervortreten der kulturellen Arbeit im allgemeinen und der Jugend im besonderen als einen der Erfolge hervorheben, die, wie wir eingangs angedeutet haben, erst nach jahrelanger Kleinarbeit nun gerade mitten im Kriege sichtbar geworden sind. Noch nie war die Jugend so weitgehend an der Gestaltung des Landesschießens beteiligt; sowohl am Schießen selbst und an den Schießerfolgen, wie die weiter oben genannten Ziffern zeigen, als auch an den kulturellen Veranstaltungen, die sie heuer zum überwiegenden Teil allein gestaltet hat.

Schon die Eröffnungskundgebung, die mit mehr als 30.000 Teilnehmern einen glanzvollen Verlauf nahm und beim Vorbeimarsch der Standschützen, deren Aufmarschstärke ebenfalls alle Kundgebungen in früheren Jahren übertraf – trotzdem aus den auswärtigen Kreisen mit Rücksicht auf die Verkehrsschwierigkeiten nur Abordnungen erscheinen konnten –, fiel nicht nur die starke Vermehrung der geschlossenen Jungschützenkompanien in Trachten und mit Waffen und das erstmalige Auftreten mehrerer Jungschützenmusikkapellen auf, sondern auch die Einreihung zahlreicher Jungen in die Standschützenmusikkapellen. Wo infolge des Ausfalls von Männern, die im Wehrdienst stehen, die Spielfähigkeit der Kapellen in Frage gestellt wurde, fanden sich ganz Alte und ganz Junge zur Ausfüllung der Lücken, um die Teilnahme beim Landesschießen sicherzustellen.

Es ist selbstverständlich, daß diesem größten Ereignis des Jahres angestrengteste Arbeiten in allen Kreisen und Ortgruppen des Gaues vorangehen mußte, um die Voraussetzungen für eine so erfolgreiche Gestaltung zu schaffen. Auf Hunderten von Schießständen ist das Jahr über immer wieder geschossen worden: der Erfolg hat sich in einem in früheren Zeiten unvorstellbaren Leistungsdurchschnitt beim Landesschießen gezeigt. Im ganzen Gau wurde jahrüber nicht geruht, um überall die Dorfgemeinschaften zur Pflege des Volksliedes, des Volkstanzes, der Heimattracht, des Laienspiels zusammenzuführen. Verheißungsvolle Vorzeichen für die große Bewährungsprobe beim Landesschießen waren in den Frühsommermonaten des Jahres 1943 bereits die Kreisschießen, die heuer erstmalig für sämtliche Kreise des Gaues – mit Ausnahme des Kreises Innsbruck wegen seiner unmittelbaren Beteiligung beim Landesschießen – vollständig einheitlich gestaltet wurden. Jedes einzelne Kreisschießen hatte Tausende von Teilnehmern, mehr als in früheren Zieten manches große Landesschießen, aufzuweisen und war reich mit Preisen ausgestattet. Auch in dieser einheitlichen Gestaltung der Kreisschießen ist ein bedeutsamer Fortschritt zu erblicken, zu dem die Standschützenarbeit im vierten Kriegsjahr gediehen ist.

Rastloses Weiterschreiten zu immer größeren Erfolgen ist auch nach dem Abschluß des Arbeitsabschnittes 1942/43 der beherrschende Leitgedanke. Von Jahr zu Jahr mehr begreifen die deutschen Menschen im Gau Tirol-Vorarlberg die Verpflichtung, in diesem Sinne mitzuarbeiten und zu wirken, im Dienste der wehrgeistigen und kulturellen Festigung unseres Gaues. So wichtig auch der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung seit der Heimkehr ins Reich und so notwendig und beispielgebend auch die vielen wirtschaftlichen Sondermaßnahmen für unsere Bergbauern sein mögen, so unabweislich nötig ist doch auch die Arbeit des Standschützenverbandes. Nur im Zusammenwirken wirtschaftlicher und geistiger Leistungen kann die Schaffung eines vollwertigen, starken und selbstbewußten Menschentums gelingen; dieses allein aber ist die Gewähr dafür, daß unsere Bergheimat, komme was wolle, eine unüberwindliche Grenzburg am Südwall unseres großdeutschen Vaterlandes für alle Zeiten bleiben wird.