Bauernkunst



Gertrud Pesendorfer verfasste für die überwiegend aus der ländlichen Bevölkerung stammenden Leser des Tiroler Landboten vom 12. Jänner 1939 (Seite 5) ein leidenschaftliches Plädoyer für die Wiederbelebung der bäuerlichen Volkskunst mit der bezeichnenden Überschrift „Der Tiroler Bauer ist Hüter deutscher Art“. Ihr Volkskunstmuseum sei nicht nur eine Ansammlung erlesener Sammelgegenstände, sondern die Schaustücke repräsentierten vielmehr, wie sich „deutsche Art“ trotz aller Widrigkeiten der Zeitumstände über alle Jahrhunderte hinweg durchgesetzt hätte. Volkskunst wäre Bauernkunst mit stilistischen Grundkomponenten, die bis in das Zeitalter der Germanen zurückreichten und so als „urdeutsches Volksgut“ allen Deutschen gemeinsam wären. Diesen ideologisch bedeutsamen Aspekt gelte es nutzbar zu machen mit einer konsequent durchgeführten Wiederbelebung der durch den Einfluss der Massenproduktion und Konfektionsware vielfach veränderten althergebrachten Lebensweise der bäuerlichen Bewohner. Im Sammelgut des Tiroler Volkskunstmuseums fand Gertrud Pesendorfer dabei in Fülle die Vorbilder, die sie für ihr gleichsam messianisches Engagement für das Wiedererstehen eines allumfassenden und vermeintlich „artgerechten“ Gemeinschaftslebens einsetzen konnte.

„Wer in den Bergdörfern unsere Bauernhäuser so recht betrachtet, oder nur in der Stadt mit offenen Augen die im Tiroler Volkskunstmuseum gesammelten Schätze auf sich wirken läßt, dem spricht aus den für uns Heutige scheinbar überlebten Dinge[n] immer deutlicher die an uralte Geheimnisse mahnende Sprache deutscher Sinnformen. Diese Sprache ist nicht tot. Sie lebt in uns und findet ihren Widerhall. Sie strebt aus der Verschüttung einer materialistischen Zeit empor zu neuer Blüte und segensreicher Frucht. Nicht allein im hohen Norden sind jene urgermanischen Symbole als Segensbringer und leben[s]spendende Sinnbilder allen Dingen des täglichen Gebrauches beigegeben, nein, auch wir im deutschen Süden finden bis in die Zeit unserer Großväter diese sinnvollen Zeichen auf den Giebeln unserer Häuser, in den Decken unserer Stuben, auf den Gegenständen des bäuerlichen Hausrates von liebevoller Hand eingeprägt.

Wie tief verwurzelt der germanische Glaube an die leben[s]erweckende und leben[s]erhaltende Kraft des Lichtes auch in unserem Bergvolk ist, davon geben diese, in jedes kleine Gerät geschnitzten, gemalten, gestickten Zeichen beredtes Zeugnis. Durch alle widrigen Zeitläufte und Stürme der Jahrhunderte haben sie sich erhalten. Erst der alles gleichmachende Einfluß des maschinellen Zeitalters und seiner zwangläufigen Begleiterscheinungen, die Ueberflutung mit internationalen Massenerzeugnissen vermochte es, den bäuerlichen Hausrat, die bäuerliche Kleidung und damit auch die Verbindung zu den in das tägliche Leben sinnvoll eingebauten Bräuchen und Sinngebungen zu untergraben.

Mit dem Erwachen unseres Volkes zum Bewußtsein der eigenen Kraft und dem Willen zur Einheit erhalten alle Erscheinungen eine neue und doch aus den Wurzelgründen unseres Volkes hergeleitete Sinngebung. Was zuerst aus Liebhaberei, und wo es höher herging, aus Verständnis für die vorzügliche Form in Museen oder privaten Sammlungen aufgestapelt wurde, soll jetzt den wahren Zweck seiner Bewahrung erfüllen! Es soll nicht mehr eine interessante Schaustellung der Leistung vergangener Zeiten sein, nein, es soll viel mehr: Es soll uns ein Dokument dafür sein, wie deutlich die Art sich durch alle Bedrohung, durch die wechselvollen Schicksale eines Jahrtausends erhalten hat, trotz der oft sehr gewalttätig aufgedrungenen fremden Einflüsse, die auch Tirol unter harten Druck setzten.

Es soll uns aber auch deutlich vor Augen führen, wie im Zug der letzten achtzig Jahre nach und nach dem Bauern sein im wahrsten Sinne vornehmes Hausgut entwertet worden ist, durch händlerische Propaganda im Dienst des internationalen Erzeugers.

Mit der materiellen Entwertung der Handarbeit ging viel anderer Schaden Hand in Hand. Es lohnte sich nicht mehr, selbst zu spinnen, zu weben, man bekam billige Baumwolle ins Haus gebracht und auf den Märkten. Mit dem abendlichen Fleiß der winterlichen Spinnstuben erlosch auch die Geselligkeit, die von tief bedeutsamen Bräuchen erfüllt und geregelt war, immer mehr. Da man Flachs nicht mehr baute, kamen die durch Jahrtausende damit verbundenen Arbeitsbräuche, ihre naturverbundene Bedeutung langsam in Vergessenheit. Auch dem in Wintermonaten von geschickten Händen in Heimarbeit erzeugten Hausrat (Holzgeräten usw.) stand bald Fabriksware gegenüber, die gegen die altererbten oder selbsterzeugten schönen Schüsseln, Truhen, Kasten und Kästchen eingetauscht wurde. Wieviel der Altertumshändler und der raritätenlüsterne Städter da gesündigt haben, indem serienweise die Bauernhäuser ausgeplündert wurden, zum Teil gegen schlechte, billige Tauschware, z. B. gegen ein Spottgeld, ist nicht zu sagen. Dies alles hätte nicht vorkommen können, wäre dem Bauern nicht durch Jahrhunderte lange Knechtung unter fremdem Joch und durch die proletarische Presse der Vorkriegszeit das alte Herrenbewußtsein und der Ahnenstolz so sehr unterdrückt worden.

Mit der erwachsenden Erkenntnis, was der Bauer für unser Volk bedeutet, mit der freien und bedeutungsvollen Stellung, die ihm im Rahmen des Wiederaufstiegs unseres deutschen Volkes zukommt und zugewiesen ist, werden alle jene Kräfte frei, die in künstlichen Schlaf gebannt waren.

Volkskunst, also Bauernkunst, kommt zu rechten Ehren, nicht aus bloßer Liebhaberei, sondern in deutlicher Erkenntnis, daß ihre unschätzbaren Kräfte Nährboden der Volkskraft und der Kunst überhaupt sind. In den von Bauernhand geschaffenen und geschmückten Häusern. Möbeln, Trachten usw. besitzen wir vom Bauern treu im Wandel der Zeiten bewahrtes urdeutsches Volksgut!

Wenn es nun gilt, dem bäuerlichen Handwerk, der bäuerlichen Heimarbeit, der bäuerlichen Lebensgestaltung ihre alte Kraft, ihren wesentlichen Einfluß im Leben des Gesamtvolkes über die rein wirtschaftliche Bedeutung hinaus zuzuführen und mit neuem Sinn, mit wirklich neuem Leben zu erfüllen, dann müssen wir zu den Quellen zurückkehren, aus denen sie einst entsprang. Diese Quellen sind: Germanisches Brauchtum, urdeutsches Schönheitsempfinden, tief empfundenes Wissen um die Gesetze der innerlichen und äußerlichen menschlichen Natur und der leben[s]bringenden und hemmenden Gewalten außer ihr.

Vor allem ist es die Jugend, die auch hier wieder am empfänglichsten sein wird, für die Erweckung zu unseren uralten und uns heute doch so gänzlich neuem Gestaltungswillen zu betätigenden Fähigkeiten. Das erste Mal sehr wir alles nicht vom Gesichtsfeld einer kleinen ortsgebundenen Gemeinschaft, sonder wir blicken (als solche) hinaus in unser weites, großes deutsches Vaterland und sehen auch außerhalb seiner Grenzen, überall, wo Deutsche wohnen, dieselbe Art, dasselbe Gedanken- und Gefühlsgut, die überall hinreichende Verwandtschaft ihrer an die Dinge gebundenen Aeußerungen. Ueberall, ob im hohen Norden oder im tiefen deutschen Süden, begegnen wir dieselbe [derselben] Grundhaltung: Dieselben Symbole, dieselben schlichten Zweckformen, die gehaltene und doch freudige Art der Farbengebung, dieselbe aus Tiefen und aus arbeitsvollem Leben geschöpfte Lebensweisheit, die sich in Sprüchen auf Haus und Gerät ernst und launig bekundet. Und dies alles in einem Reichtum der Formen, der Gestaltung, in einem Können, vor dem wir heute staunend als Lernende stehen.

Und um ein Lernen muß es sich zunächst handeln. Nichts ist in diesem Sinne unwichtig. Alle Lebensgebiete sind – wir sehen es an den Erbstücken unserer Väter – dabei umfaßt. Der Sinn für die überlieferungsgebundene Bauweise, für die Schönheit der mit unserer Landschaft verwachsenen Häuser und des von ihren Maßgerechtigkeiten bedingten Hausrats muß an Hand der uns noch überall umgebenden guten Beispiele wachgerufen werden. Auch an abschreckenden Gegenbeispielen ist – leider – kein Mangel. Wir müssen wieder sehen, unterscheiden lernen. Unsere Kleidung, unser Wohnen, jedes kleinste Gerät, kann, wie unsere ganze Lebenshaltung, Ausdruck unserer Gesinnung sein, wird, wenn alle Kräfte der bäuerlichen Gemeinschaft wieder in den rechten Bahnen wirken, eine schöpferische Entfaltung zeitigen, die wir heute ahnen können, wenn wir uns an den ersten Wirkungen der Arbeit im Deutschen Reiche erfreuen. Was wir aber mit ganzem Herzen wollen und mit allem Fleiße und wachen Sinnen erstreben, wird, trotz der Hemmungen, die uns noch überall im Wege sind, dennoch erreicht werden!“